Wahlprognosen in der Schweiz

Nationalratswahlen 2011

Wahlbaromter vom 12. Oktober

Wichtigstes in Kürze (Seite3):

Die unverfälschten Ergebnisse

Von den 2007 "repräsentativ ausgesuchten" Wahlberechtigten wurden 1297 als teilnahmewillig eingestuft (Tabelle 2, Seite 7). Von diesen gaben 1137 eine Parteipräferenz an (Seite 3, Grafik 1 (n=1137)). Folglich waren 160 (=1297-1137) noch unentschlossen. Jeder achte Teilnahmewillige hatte also seine Entscheidung noch nicht getroffen. Von den 1137 Teilnahmewiliigen mit Parteipräferenz votierten


315 für die SP (!), 226 für die SVP (!), 168 für die FDP, 158 für die CVP,
108 für die Grünen, 66 für die Grünliberalen und 52 für die BDP,

 

wie den beiden untersten Zeilen der folgenden Grafik zu entnehmen ist (S. 7)


Die SP lässt die SVP weit hinter sich? Das klingt absurd.

.

Wurden hier SVP und SP verwechselt?

Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Stimmenzahlen für Parteien seit Januar 2011. Die Zahlen wurden immer der gleichen Wahlbarometer-Grafik entnommen. Für jedes Wahlbarometer wurden gut 2000 "repräsentativ ausgesuchte" Stimmberechtigte befragt. Die erste Spalte gibt das Datum des Wahlbarometers an, die zweite die Anzahl der Befragten, die als teilnahmewillig eingestuft wurden (TNW) und die dritte diejenigen Teilnahmewilligen, die eine Parteipräferenz äusserten (TNWP). Die Differenz zwischen der zweiten und dritten Spalte ergibt die Anzahl der noch unentschlossenen Teilnahmewilligen. Wie man sieht, ist regelmässig jeder siebte oder achte Teilnahmewillige noch unentschlossen.

Die Stimmenzahlen für das dritte Wahlbarometer wurden nicht in die Tabelle aufgenommen, weil sie offensichtlich fehlerhaft waren. (Sie bezogen sich auf alle Befragten, die eine Parteipräferenz äusserten, auch von solchen, die nicht als teilnahmewillig eingestuft wurden)

 

WB Datum
Anzahl TNW
Anzahl TNWP
Stimmen SVP
Stimmen SP
Stimmen FDP.Lib
Stimmen CVP
Stimmen GPS
Stimmen GLP
Stimmen BDP
2. WB 28.1
1229
855
255 (29.8%)
154 (18.0%)
151 (17.7%)
110 (12.9%)
75 (8.8%)
44 (5.2%)
22 (2.6%)
4. WB 1.7
998
860
191
219
146
80
102
56
23
5. WB 12.8
1061
895
174
240
165
109
96
54
31
6. WB 9.9
1137
965
209
281
160
122
78
47
26
7. WB 12.10
1297
1137
226
315
168
158
108
66
52

 

Im Januar war die Walbarometerwelt noch in Ordnung. Von den 855 Teilnahmewilligen votierten 255 für die SVP bzw. 154 für die SP, was exakt den im Wahlbarometer (Schweizer Fernsehen) verkündeten 29.8% bzw. 18.0% entsprach. Für die anderen Parteien war das genau so.

Aber dann brach die "Oktoberrevolution" aus. Die SVP stürzte ab, während die SP nach vorne stürmte und die SVP hinter sich liess. Bei praktisch gleicher Zahl von Teilnahmewilligen (860) votierten im Juni nur noch 191 für die SVP, aber 219 für die SP. Die Stimmenzahl der FDP blieb praktisch unverändert, ebenso diejenige der BDP. Dagegen verlor die CVP massiv an Stimmen, während die Grünen ebenso massiv an Stimmen gewannen. Auch die GLP legte zu. Das Schweizer Fernsehen spürte davon nichts. Es meldete zwar etwas andere Parteistärken als im Januar, aber diese entsprachen in keiner Weise den Stimmenzahlen für SVP, SP und CVP in der Umfrage. Auch für die FDP, GLP und BDP korrespondierten Stimmenzahl und Parteistärken nicht, aber die Unterschiede waren nicht gross.

In den Wahlbarometern für August, September und Oktober wiederholte sich dieses Schauspiel. Stimmenzahlen und Parteistärken divergierten z.T. in grotesker Weise, als wären SVP und SP verwechselt worden. Zudem vergrösserte die SP ihren Vorsprung auf die SVP laufend. Auffallend ist, dass die Stimmenzahl einer Partei öfters von einem Wahlbarometer zum nächsten grosse Sprünge machte, z.B. verdoppelte die BDP ihre Stimmenzahl vom 6. zum 7. Wahlbarometer und die Grünen setzten vom 4. zum 5. Wahlbarometer zu einem Freudensprung von 3% an. Das Auf und Ab der Stimmenzahlen von einer Umfragen zur nächsten führte regelmässig zu Veränderungen der Parteistärken von 1% bis zu 3%, während die in den Wahlbarometern gemeldeten Trends meist unter 1% lagen.

 

Was ist passiert, wie sind diese absurden Zahlen zu erklären?

1. Das Forschungsinstitut gfs.bern führt keine Umfragen durch!
2. Gfs.bern ist ein Prozentzahlen-Handelsbetrieb mit Kläranlage.

 

Das Wahlbarometer wird vom "Forschungsinstitut" gfs.bern alias Claude Longchamp betrieben. Es (er) beschäftigt ein paar Mitarbeiter, aber keine Interviewer und führt keine Umfragen durch. Longchamp kauft Umfrageergebnisse beim gfs.Befragungsdienst in Zürich ein, einem realen Umfrageinstitut, das etwa 150 Interviewer beschäftigt und viele Kunden hat (einer davon ist Longchamp). Gfs.bern ist de facto ein Prozentzahlen-Handelsbetrieb, der Umfrageergebnisse einkauft, diese "aufbereitet" und an das Schweizerische Fernsehen (SF) weiter verkauft. Was der gfs.Befragungsdienst an Umfrageergebnissen produziert, ist zwar unverfälscht, aber völlig ungeniessbar. Das ist der Grund dafür, weshalb das SF den Datenzwischenhändler Longchamp einschaltet. Sein Job besteht darin, den demoskopischen Erguss des Befragungsdienstes durch seine Kläranlage laufen zu lassen und dem SF aufbereitete Zahlen vorzulegen.

Es ist bekannt, dass kein CH-Meinungsforscher Parteistärken veröffentlicht, die er in der Umfrage ermittelt hat. Die Zahlen werden von allen "aufbereitet" und an die Resultate der Wahl vor vier Jahren angepasst. Im Wahlbarometer 2005 und 2009 beschrieb Longchamp die Arbeitsweise seiner Kläranlage wie folgt: Die Ergebnisse (Stimmenzahlen pro Partei) des gfs.Befragungsdienstes werden "korrigiert" und "plausibilisiert":

 

 

In die Umgangssprache übersetzt: In der politisch stabilen Schweiz ist das letzte Wahlresultat stets die beste Prognose! Das abstruse Umfrageergebnis wird entsorgt und das geringfügig modifzierte Wahlresultat von 2007 als neuestes Umfrageergebnis ausgegeben. Im 2. Wahlbarometer (obige Tabelle) sind noch die "geklärten" Stimmzahlen zu sehen. Longchamp hatte zuerst Parteistärken mit Nachkommastelle produziert - wie er das macht, hält er streng geheim -, und seine Gehilfen haben seine Prozentzahlen auf die 855 Teilnahmewilligen umgelegt (d.h. für jede Partei die Stimmenzahl fiktiv berechnet, anstatt die in der Umfrage gezählten Stimmen zu verwenden).

Longchamp ist ab dem 4. Wahlbarometer das Malheur passiert, dass die vom gfs.Befragungsdienst ermittelten Stimmenzahlen nicht in seine Kläranlage eingeleitet wurden, sondern sich "ungefiltert" in immer die gleiche Grafik der Umfrageberichte ergossen. Arithmetisch ausgedrückt: Seine Gehilfen hatten vergessen, die von ihm für das SF "geklärten" Prozentzahlen auf die Teilnahmewilligen umzulegen. Damit ist der Albtraum eines jeden CH-Demoskopen - mit unverfälschten Umfrageergebnissen erwischt zu werden - für ihn in Erfüllung gegangen.

 

Weitergehende Ausführung in:

Reiseführer Wahlbarometer

Wanderkarten (Grafiken) Wahlbarometer

Beschwerde UBI

Demoskopen vor Urnengängen an die Leine nehmen?

Frühere Beiträge

Longchamps Minarett-Debakel

Ein Blick hinter die Kulissen von gfs.bern (Personenfreizügigkeit)

Zahlenprostitution in der Sonntagszeitung

Nationalratswahlen 2007

 

A. Schweizer Fernsehen & Longchamp

B. Etikettenschwindel "Repräsentativumfrage"

C. Wie kommen die Zahlen tatsächlich zustande?

1. Bei Abstimmungen: Longchamp fabriziert Zahlenkombinationen, die SRG dichtet Fragen dazu.

2. Bei Wahlen: Das Ergebnis der letzten Nationalratswahlen wird leicht modifiziert und als neues Umfrageergebnis im SRG-Wahlbarometer verkauft.

D. Wählertäuschung: Eventualvorsatz erfüllt.

E. Glückliche Symbiose als Kuhhandel.

F. Wer bezahlt die Zeche dafür?

G. Moral von der Geschicht.

Inhaltsverzeichnis (Wahlbarometer-Serie)

1. Utopische Genauigkeit

2. Wahlbarometer 2009: Parteien sind manisch-depressiv geworden

3. Der unbezahlbare Preis für eine höhere Genauigkeit

4. Longchamps statistisches Wunschdenken

5. Je mehr Nichtwähler befragt werden, desto genauer die Umfrage!

6. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing." Auf ausdrücklichen Wunsch der SRG mutiert Longchamp zum Gaukler, der auf einer Sonnenuhr Sekundenbruchteile abliest.

7. SRG-Wahlbarometer ist reine Augenwischerei

8. Longchamps Zahlen sind Tipps, die er als Umfrageergebnisse tarnt

9. Longchamp digitalisiert sein Bauchgefühl

10. Aller guten Dinge sind drei: Die bestellten Gutachten der SRG (in Vorbereitung)

Minarett-Umfrage. Weshalb Longchamp auf die Nase fiel

Synopsis


A. Schweizer Fernsehen & Longchamp

Monopol von Longchamp. Umfragen vor Urnengängen werden vom Schweizer Fernsehen (SRG) im Dauerauftrag an Claude Longchamp (alias gfs.bern) vergeben. Die Aktiengesellschaft gfs.bern lässt jeweils ein paar Tausend Telefonnummern auslosen. Die Anrufe verlaufen aber sehr oft im Sand und bringen wenig Handfestes. Die meisten Stimmberechtigten sind nämlich unkooperativ und geben keine Auskunft. Und diejenigen, die sich befragen lassen, äussern sich mehrheitlich vage bzw. unverbindlich, nur eine Minderheit spricht Klartext. Doch mit dem Know-how eines Claude Longchamps gelingt es dem Forschungsinstitutes gfs.bern immer, aus fehlenden und vagen Antworten genaue Prozentzahlen zu extrahieren. Die SRG setzt noch eins drauf und macht daraus eine exakte Momentaufnahme, die von der Öffentlichkeit bis bis zum Wahltag als Prognose konsumiert wird. Das (nicht selten böse) Erwachen folgt danach. Zuletzt bei der Minarett-Initiative, wo aus 37% Ja in der Umfrage 57.5% an der Urne wurden.

Handwerk mit goldenem Boden. Kommandant von gfs.bern ist der bekannte Politologe Claude Longchamp. Er ist in Personalunion Mehrheitsaktionär, Präsident des Verwaltungsrates und Institutsleiter. Deshalb wird er im Folgenden mit gfs.bern gleichgesetzt. Als Werkstattchef von gfs.bern organisiert und überwacht er die Produktion von genauen Prozentzahlen persönlich. Die Fertigung von Nachkommastellen ist delikate Handarbeit und erfordert ein gerüttelt Mass an Selbstvertrauen und statistischer Ahnungslosigkeit.

Longchamps Handwerk hat goldenen Boden. Im Jahre 2009 führte er acht Umfragen zu vier Abstimmungen für die SRG durch. Dabei wurden insgesamt etwa 9200 Stimmberechtigte befragt. Dafür erhielt er nach seinen Angaben rund 225 000 Fr. (7% von 3.2 Millionen). Im Wahljahr 2007 führte er insgesamt 13 Umfragen für die SRG durch (acht Wahlbarometer, eine Wahltagsbefragung und je zwei Umfragen zu zwei Abstimmungen), wobei insgesamt rund 22000 Stimmberechtigte interviewt wurden. Das dürfte ihm 2007 über eine halbe Million eingebracht haben, was etwa 17-18% seines damaligen Umsatzes von 3.05 Millionen entspricht. Mit der SRG ist Longchamp seit 12 Jahren mit Wahlumfragen im Geschäft. Damit dürfte er der einzige festangestelle Nichtangestellte der SRG sein.

Im Wahljahr 2011 wird er sich wieder eine goldige Nase mit der SRG verdienen OHNE DIE KARTEN AUF DEN TISCH LEGEN ZU MÜSSEN.

Gewaschene Zahlen. Longchamp ist nämlich vertraglich nur verpflichtet Umfragen durchzuführen und der SRG "irgendwelche" Zahlen abzuliefern. Er hat sich ausbedungen, dass die tatsächlichen Ergebnisse (euphemistisch "Rohergebnisse" genannt) sein Eigentum sind, das er unter Verschluss behält. Der SRG braucht er nur "gewaschene Zahlen" vorzulegen. Deshalb verbreitet die SRG nicht Umfrageergebnisse, sondern seine Interpretationen von "Rohergebnissen", m.a.W. Tipps von Longchamp. Das verschweigt die SRG konsequent in ihrer Umfrage-Berichterstattung.

Ergebnisse von Umfragen, die mit öffentlichen Mitteln finanzierten werden, gehören der Allgemeinheit und nicht in den Tresor von Longchamp. An diesem unhaltbaren Zustand hat das Minarett-Debakel nichts geändert.

Göttliche Empfängnis. Juristisch stellt sich die SRG auf den Standpunkt, Longchamp sei eine "seriöse Quelle", auf die sie sich verlassen dürfe. Das Zustandekommen der Zahlen sei eine komplexe und hochwissenschaftliche Angelegenheit, die ihren Horizont übersteige. In der Vorstellung der SRG kommt Longchamp zu seinen Zahlen wie die Jungfrau zum Kind - durch Göttliche Empfängnis. Mit einem Unterschied: Unbefleckt war sie nicht.

Longchamp tanzt nach der Pfeife der SRG. Es sei rechtlich unerheblich, behauptet die SRG, dass die "seriöse Quelle" von ihr finanziell abhängig ist und bei Bedarf nach ihrer Pfeife tanzt. So beugte sich Longchamp 2006 dem Druck der SRG als diese eine Nachkommastelle für Parteistärken für ihr Wahlbarometer begehrte. Diese Pseudogenauigkeit war und ist reine Augenwischerei. Aber die Angabe einer Nachkommastelle betont die Genauigkeit der Zahlen und lässt sie als amtliche bestätigte Momentaufnahme erscheinen. Mit der Nachkommastelle erfülle er lediglich den "ausdrücklichen Wunsch der SRG", rechtfertigte er sein Tun im technischen Bericht zum 1. Wahlbarometer für die Nationalratswahl 2007 (Seite 8, 2. Abschnitt). Noch im Oktober 2005 hatte er das als Scharlatanerie abgetan.

Weihwasser und Sachgerechtigkeitsgebot (RTVG Art. 4). Die tatsächlichen Umfrageergebnisse scheut die SRG wie der Teufel das Weihwasser. Diese haben wenig Informationswert, was die SRG mit allen Mitteln zu kaschieren versucht. Die SRG will auch gar nicht wissen, wie Longchamp die Antworten der Stimmberechtigten präpariert. Denn das würde sie mit dem Radio und Fernsehgesetz (RTVG) in Konflikt bringen. Nach Art. 4 müssen SRG-Sendungen sachgerecht sein, damit sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Dazu gehört, dass zwischen Fakten und Thesen (Meinungsäusserung) klar unterschieden wird. Longchamps Zahlen dürfen nicht als Fakten präsentiert werden. Sie müssen als das deklariert werden, was sie tatsächlich sind: Spekulative Interpretationen von Umfrageergebnissen, Tipps von Longchamp. Gemäss Bundesgericht gilt vor Abstimmungen und Wahlen erhöhte Sorgfaltspflicht zu beachten. Weil aber Longchamp für die SRG eine "seriöse Quelle" ist, wähnt sie sich aller Sorgfaltspflichten entbunden und legitimiert, den Kopf in den Sand stecken.

 

B. Etikettenschwindel "Repräsentativumfrage"

Zufallsauswahl. Die Befragten werden nicht "repräsentativ" ausgewählt, wie von Longchamp und der SRG immer suggeriert wird, sondern per Lotterie. Longchamp lässt für jede Umfrage in jeder Sprachregion solange Telefonnummern auslosen, bis er eine für die SRG noch bezahlbare Anzahl von Stimmberechtigten zusammen getrommelt hat. Bei Nationalrats-Wahlen liegt die finanzielle Schmerzgrenze der SRG bei rund 2000 Stimmberechtigten (davon 1000 in der Deutschschweiz, 600 in der Westschweiz und 400 im Tessin). Bei Abstimmungsvorlagen wird die finanzielle Reissleine früher gezogen. Es werden etwa 1200 antwortwillige Stimmberechtigte befragt, 600 davon in der Deutschschweiz und je 300 in der Westschweiz und im Tessin. Da stellt sich dem Zuschauer die Frage:

Sind Umfrageergebnisse Lottozahlen? Diesen Eindruck konnte man nach der Minarett-Abstimmung durchaus haben. Das Umfrageergebnis hängt ja davon ab, wer unter den Interview-Willigen zufällig befragt wurde. Wären andere Wahlberechtigte ausgelost und befragt worden, würde das Ergebnis mit Sicherheit anders aussehen. Die Frage ist in welchem Ausmass. Das ist eine Frage, welche die mathematische Statistik unter gewissen Voraussetzungen beantworten kann. Wenn beispielsweise die SVP gemäss Wahlbarometer 2009 auf 24.8% und die Grünen auf 10.1% kamen, was wäre passiert, wenn Longchamp andere Telefonnummern ausgelost und angerufen hätte. Könnte es dann sein, dass die SVP auf 27.0% oder 22.6% oder irgendwo dazwischen gekommen wäre und ebenso die Grünen auf 7.9% oder 12.3% oder Werte dazwischen?
Ja, das sei möglich, räumt Longchamp kleinlaut ein, was er und die SRG natürlich nicht an die grosse Glocke hängen. Der (gelernte) Historiker hatte schon als Junge ein Flair für Mathematik, wie er in seinem Lebenslauf im Stadtwanderer-Blog betonte und mutierte in reifen Mannesjahren nebenberuflich zum Hobby-Statistiker. Seither behauptet er unentwegt, der durch die Auslosung von Telefonnummern verursachte Streubereich (oder Fehlerbereich) betrage für Parteistärken bei Wahlen +/-2.2% und für Ja/Nein-Anteile bei Abstimmungen +/-2.9%. Ein gelernter Statistiker kommt allerdings auf das DOPPELTE.

Statistisches Wunschdenken. Longchamps "Berechnung" der Lotterieschäden (+/-2.2% bzw. +/-2.9%) basiert auf statistischem Wunschdenken, welches er in seinem Kommuniaktions-Blog zum besten gibt. Er verwendet eine Formel (Binomialverteilung), die die Statistik für Münzwürfe oder das zufällige Ziehen von Kugeln aus einer Urne mit nur schwarzen und weissen Kugeln entwickelt hat. Er unterschätzt deshalb die Auswirkungen der Zufallsauswahl von Telefonnummern auf Umfrageergebnisse massiv. Damit diese Formel (Binomialverteilung) auch auf Umfragen anwendbar wäre, müsste erstens die Wahlbeteiligung 100% betragen und zweitens dürfte der Fragebogen nur eine einzige Frage enthalten und drittens müsste diese Frage nur zwei Antworten zulassen (z.B. Ja/Nein oder Regierung/Opposition analog Kopf/Zahl bzw. schwarz/weiss). Die Erfüllung dieser Voraussetzungen würde eine grosse Erleichterung für die Menschheit bedeuten: Es würde keine Umfragen mehr geben.

Aber auch eine Verdoppelung der auslosungsbedingten Fehler (auf +/-6%) kann die grossen Unterschiede zwischen Umfrage und Abstimmungsresultat, die oft 10 bis 20% betragen, nicht erklären. Die Gründe hierfür liegen anderswo.

Longchamp-Abstinenten (Interview-Verweigerer). Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die grosse Mehrheit der Stimmberechtigten nicht bereit ist, ein telefonisches Interview über sich ergehen zu lassen. Meinungsforscher haben 2007 in der Schweiz 3.2 Millionen Personen für Umfragen in Beschlag genommen, 340 000 mehr als im Vorjahr. Da überrascht es nicht, dass viele Leute die Nase voll von solchen Anrufen haben und nicht mehr mitspielen. Nach Longchamps Angaben liegt seine Ausschöpfungsquote bei gerade mal 36%, d.h. von 100 zur Befragung ausgewählten Stimmberechtigten machen nur 36 mit (vergl. Umfragebericht S. 9 Tabelle 2).

Wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten von einer Umfrage nicht erfasst werden, dann braucht man sich über Abweichungen von 20% nicht zu wundern.

Longchamp unterstellt klammheimlich, dass Interview-Abstinenten genau so wählen wie diejenigen, die bereit sind ein Interview über sich ergehen lassen. Eine heile Welt. Die SRG steckt den Kopf in den Sand und lässt ihn gewähren. Den Zuschauern gaukelt sie vor, die Umfrage sei repräsentativ. Fragt sich repräsentativ für wen? Für Stimmberechtigte, die zu Hause gespannt auf den Anruf von Longchamp warten, um ihm den ausgefüllten Stimmzettel vorzulesen?

Fata Morgana Meinungsumschwung. Als Erklärung für die Diskrepanzen zwischen Umfrage- und Abstimmungsergebnis wird eine Fata morgana an die Wand gemalt: Der "überraschende" Meinungsumschwung kurz vor dem Urnengang. Tröstlich an diesen mentalen Bocksprünge ist, dass sie ziemlich regelmässig stattfinden.

Umfragen und Realität. Umfragen seien eben "nur" Momentaufnahmen und keine Prognosen, klagt Longchamp nach jeder Panne und verzeiht sich so die Fehlprognose. Seine Opfer - auch die Landesregierung zählt dazu - erleben das freilich anders. Bei ihnen kommen Longchamps Momentaufnahmen immer als Prognosen an. Das ist - soweit es die SRG betrifft - auch durchaus im Sinne der Einschaltquote. Bundesrat Leuenberger führte im Nationalrat nach der Minarettabstimmung seufzend aus, der Bundesrat habe die Differenz zwischen Umfrage und Realität mit Erstaunen zu Kenntnis genommen und erachte sie als staatspolitisch gravierend. Offenbar braucht der Bundesrat eine demoskopische Nachhilfestunde.

Wahltagsbefragungen und Vox-Analysen. Longchamps These vom plötzlichen Meinungsumschwung wäre glaubhaft, wenn am Wahltag (oder kurz danach) durchgeführte Umfragen das Ergebnis des Urnenganges reproduzieren würden. Dann hätte er ein veritables Alibi. Aber das ist gerade nicht der Fall. Die von ihm durchgeführten Wahltagsbefragungen von 1995 bis 2007 und die Voxanalysen (die ein paar Tage nach dem Urnengang erfolgen) liefern regelmässig peinliche Abweichungen vom amtlichen Schlussresultat und bleiben deshalb unter Verschluss. Stattdessen lamentiert Longchamp landauf landab und rund um die Uhr, dass 2007 gemäss Wahltagsbefragung 46% der Wähler - und bei der Minarett-Voxanalyse 2009 31% - die definitive Wahlentscheidung erst in den beiden letzten Wochen vor dem Urnengang getroffen hätten. Ergo müsse die Diskrepanz die Folge eines Meinungsumschwunges sein, ein Schicksalsschlag wie "höhere Gewalt". Das wäre tröstlich, wenn die Wahltagsbefragung für 2007 und die Vox-Analyse (Minarett) das Wahlergebnis reproduziert hätten. Weil dem nicht so ist, entpuppt sich sein Gejammer über den Meinungsumschwung als reine Schutzbehauptung. Der Hund liegt anderswo begraben: Zwei Drittel der Stimmberechtigen sind Longchamp-Abstinenten. Das lässt er immer unter den Tisch fallen.

Eigentor Vox-Analyse. Ein Musterbeispiel für diese Schlitzohrigkeit war die Vox-Analyse nach der Minarettabstimmung. Dafür wurden wie üblich 1000 Wähler ein paar Tage nach der Abstimmung zu ihrem Stimmverhalten befragt. Der Bericht wurde Ende Januar 2010 mit viel Tamtam den Medien vorgestellt und strotzte nur so vor Prozentzahlen und Erklärungen. Aber zwei Zahlen fehlten: Wie viele der 1000 befragten Wähler mit Ja bzw. Nein gestimmt hatten. Acht Monate später wird diese Katz in einem (von der SRG für einen andern Zweck bestellten) 45-seitigen Gutachten aus dem Sack gelassen. Auf Seite 19 (Mitte) erfährt man: "Noch in der Nachbefragung gab eine Mehrheit an, mit Nein gestimmt zu haben". Anstatt dem Abstimmungsresultat von 57.5% kamen unter 50% Ja heraus (es waren 49%)!

Gewichtungskunst. Die schweigende Zweidrittelsmehrheit und die durch die Zufallsauswahl der Befragten verursachten Abweichungen sind der Grund, weshalb Longchamp seinen Ergebnissen nicht über den Weg traut und permanent an ihnen herumdoktert. Diese Tätigkeit empfindet er aber nicht als Fälschen von Umfrageergebnissen. Er sieht darin einen heroischen chirurgischen Eingriff, um Umfragezahlen, die mit schweren Erbleiden auf seinem Schreibtisch zur Welt kamen, für kurze Zeit am Leben zu erhalten. In der demoskopischen Fach- oder Gaunersprache hat man dafür eigens ein Kosewort geprägt: Gewichtungs-Kunst.

 

C. Wie kommen die Zahlen zustande?

1. Bei Abstimmungen fabriziert Longchamp Zahlenkombinationen, die SRG dichtet Fragen dazu.

Wie er bei der zweiten Umfrage zur Minarett-Initiative seine Prognosezahlen - 37% Ja, 53% Nein und 10% Unentschlossene - produzierte,

kümmert die SRG nicht. Sie weiss, dass den Befragten die suggerierte Frage

"Stimmen Sie mit Ja oder mit Nein oder sind Sie noch unentschlossen?"

gar nicht gestellt wurde. Longchamp hat die Antworten auf zwei ganz anders lautende Fragen spekulativ kombiniert und die SRG verkauft seine Zahlenkombination als Antwort auf die von ihr gedichteten Frage. Nota bene: Die Antwortmöglichkeit "unentschlossen" war den Befragten gar nicht offeriert worden! Durch die Fragestellung wurde vielmehr Druck ausgeübt, sich für oder gegen das Minarett-Verbot auszusprechen. Das erklärte Ziel von Longchamp ist, wie die SRG der UBI am 30. Juni 2008 schrieb, die Zahl der "Unentschlossenen" zu minimieren.

Dem tatsächlichen Umfrageergebnis geht die SRG aus dem Wege wie der Teufel dem Weihwasser: Wenn man Longchamps Zahlen für bare Münze nimmt, dann waren beim Minarettverbot nur

15% der Stimmberechtigten bestimmt dafür, 22% bestimmt dagegen und 5% entschlossene Nichtwähler. Aber volle 58% der Stimmberechtigten waren sich UNSCHLÜSSIG, ob und wie sie wählen letztlich würden.

Nur mit einem solchen Ergebnis will die SRG nicht an die Öffentlichkeit. Details sind in "Longchamps Waterloo " zu finden.

 

2. Wahlbarometer. Das Ergebnis der letzten Wahlen wird leicht modifiziert und als "neues" Umfrageergebnis im SRG-Wahlbarometer präsentiert.

Mit Ausnahme der SVP betragen die vorgeführten Veränderungen +/-1% und weniger. Der scheinbare grosse Verlust der SVP von -4.1% ist eine "optische Täuschung". Der Absturz reflektiert einfach die Abspaltung der BDP, die in der Grafik für Zwergparteien (GLP, EDU etc.) untergebracht ist und dort mit 3.4% veranschlagt wird. Zusammen haben SVP und BDP also ganze 0.7% "verloren". Die angeblichen Veränderungen betragen maximal ein Prozent und sind deutlich kleiner als die von Longchamp eingeräumte Streuung der Parteistärken (+/-2.2%), die als Folge der Auslosung von Telefonnummern unvermeidbar ist. Mit andern Worten, wären andere Stimmberechtigte ausgelost und befragt worden, hätten die Veränderungen ganz anders ausgesehen.

Fazit: Longchamp betreibt mit Lotterieartefakten politische Allotria. Das Wahbarometer 2009 reduziert sich auf absurdes Theater, das im Wahljahr 2011 zigmal wiederholt wird.

Das tatsächliche Umfrageergebnis war wie immer völlig anders und hätte wie eine politische Bombe eingeschlagen, wenn es publiziert worden wäre. Aber Longchamp hält seine Zahlen unter Verschluss und unterzieht sie mehreren Waschprogrammen bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Der letzte Schliff wird mit dem Vorschlaghammer vollzogen - der sogenannten Recall-Gewichtung -, die er im detaillierten Umfragebericht auf Seite 6 wie folgt beschreibt:



Aus dem Demoskopischen ins Deutsche übersetzt und auf den Punkt gebracht heisst dies: Das Ergebnis der sündhaft teuren, mit Zwangsgebühren finanzierten Umfrage wandert in den Abfall und wird praktisch durch das Resultat der Nationalratswahl 2007 ersetzt. Max Kaase, der Nestor der deutschen Wahlforschung beschrieb diesen Schwindel schon 1987 mit folgenden Worten:

"Bei diesem höchst umstrittenen und theoretisch völlig unfundierten Ansatz macht man sich paradoxerweise gerade die Abweichung der Befragtenangaben zu ihrer zurückliegenden Wahlentscheidung (der sogenannten Recall-Frage) vom ja zweifelsfrei bekannten Ergebnis einer zurückliegenden Vergleichswahl zunutze, um die aktuelle "Prognose", die an sich auf den Angaben der Befragten zu ihrer Wahlabsicht beruhen müßte, zu korrigieren. Solche politisch gewichteten "Prognosen" haben die Wirkung, diese mehr in die Nähe der traditionell zu erwartenden Wahlergebnisse zu rücken und verfälschen damit gerade die eigentlich interessante Nachricht: Wie nämlich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Stimmung der Bevölkerung bezüglich der politischen Parteien aussieht." (Rheinischer Merkur 11.09.1987, Sonderbeilage Demoskopie)

Solange sich die politischen Kräfteverhältnisse nicht oder nur wenig verändern, funktioniert dieses Spiel wunderbar. Nur wären dann Meinungsumfragen eigentlich überflüssig. Das erklärt auch, weshalb Longchamps prophezeite Parteistärken dann zutreffend sind, wenn sie sich von einer Wahl zur nächsten kaum verändern. Mit Prognosekunst hat das nichts zu tun, wohl aber mit Schummelei. Denn faktisch wird das Umfrageergebnis entsorgt und durch das Resultat der letzten Nationalratswahl ersetzt, an welchem minimale Retouchen vorgenommen werden. Die Windrichtung ist durch zwischenzeitliche kantonale Wahlen vorgegeben. Das kann jeder nicht lesebehinderte Journalist genau so gut wie Longchamp, mit dem kleinen, aber feinen Unterschied: Die SRG würde nicht sechstellige Beträge für eine Wahlbarometerserie zum Fenster heraus werfen, die sie wehrlosen Zuschauer mit Zwangsgebühren aus der Tasche gezogen hat.

Gerät die politische Landschaft in Bewegung, wird der abfahrende Zug "spielbedingt" verschlafen. Denn der Wecker - die tatsächlichen Ergebnisse der Umfrage - ist mit dem Vorschlaghammer der recall-Gewichtung ruhig gestellt worden. Die Folge davon ist, dass der Trend unterschätzt wird. So sind Longchamp die Freudensprünge der SVP 1995/1999 (+7.6%) und 1999/2003 (+4.2%) in ihrem Ausmass entgangen. Den Absturz der FDP von 1999 auf 2003 hat er ganz verschlafen, statt -2.6% tippte er auf -0.4%. Beim Absturz der SP von 2003 auf 2007 erging es ihm ähnlich, statt -3.8% prophezeite er -1.6%. Der Sprung der SVP von 2003 auf 2007 entging ihm gleichfalls, statt +2.2% tippt er auf +0.9%. Um Erklärungen für seine "Patzer" ist er nicht verlegen.

Absturz der FDP in 2003. Damals hätte ihm Bundesrat Couchepin (FDP) mit der Erhöhung der Krankenkassenprämien die Prognose versaut. Der kleine Schönheitsfehler an dieser Sau ist, dass die Wahl 19. Oktober stattfand, die Diskussion über die Anhebung aber schon im Juni losging und über den Sommer weiter brodelte. Dazwischen gingen drei Wahlbarometer über die Bühne, die nichts von den Krankenkassenprämien spürten und Longchamp noch keine Sau auf seinem Radar hatte. Diese hat er am Tag nach der Wahl entdeckt und dann stante pedes per Tagesschau durch Helvetiens Dörfer gejagt.

Longchamp behauptet in der Tagesschau vom 20.10.2003, in der letzten Woche vor der Wahl sei die FDP regelrecht auf 13% abgestürzt (von vorher 18.8%). Wie absurd diese Behauptung ist, sieht man daran, dass sie auf den Angaben von etwa 40 (vierzig!) FDP-Wählern beruhte, die sich in der letzten Woche vor der Wahl definitiv für die FDP entschieden hatten. Bei dieser lächerlich kleinen Befragtenzahl beträgt der Fehlerbereich mehr als +/-10%. Nach Longchamp stürzte also die FDP von 18.8% auf irgendwo zwischen 3% und 23% ab, zum Beispiel von 18.8% auf 23%.

Absturz der SP und Höhenflug der SVP 2007. Dafür machte er die Krawalle in Bern anlässlich einer SVP-Kundgebung zwei Wochen vor der Wahl verantwortlich. In der Präsidentenrunde im Fernsehen am Tag nach der Wahl versuchte er seine Krawallstory mit prächtigen Grafiken, viel Lautmalerei und einer Wahltagsbefragung zu verkaufen. Mit geschwollener Brust führte er vor der hochkarätigen Runde aus, in der Woche unmittelbar nach den Krawallen sei der SVP-Anteil dramatisch angestiegen. Von den Wählern, die sich in dieser Woche definitiv für eine Partei entschieden, hätten über 30% für die SVP votiert. Das hört sich gut an, entpuppt sich aber als reine Schaumschlägerei. Denn die Grafiken 19 und 21 auf Seite 21/22 in Longchamps detailliertem Umfragebericht erzählen eine ganz andere Geschichte. In den drei letzten Wochen vor der Wahl entschieden sich 11%, 17% und 29% definitiv für eine Partei. Die SVP-Anteile waren in diesen drei Wochen 20% (!), 30% und 27%. Daraus errechnet sich für die beiden letzten Wochen ein SVP-Anteil von 28.1% {= (0.17x30% + 0.29x27%) / 0.46} und für die Zeit davor einen solchen von 29.6%. Wenn man Longchamps Zahlen für bare Münze nimmt, fiel die SVP als Folge der Krawalle von 29.6% auf 28.1%. Noch dramatischer ist der Vergleich für die letzten drei Wochen mit der Zeit davor. Die SVP ist in den letzten drei Wochen regelrecht abgestürzt, von 32.5% zuvor auf 26.5% (= {(0.11x20% + 0.17x30% + 0.29x27%) / 0.57}).

Politisch war die Krawallstory schon vor ihrer Niederkunft eine Luftnummer. Denn, wie der damalige SP-Chef Fehr in der Präsidentenrunde betonte, waren nicht seine Genossen, sondern übereifrige Grüne die Organisatoren der Gegendemonstration, die zu den Ausschreitungen führte. Er (Fehr) fand es "interessant" (!), dass die unschuldige SP den Kopf herhalten musste und nicht die Grünen (die dummerweise massiv zulegten). Er absorbierte - wie die anderen Parteipräsidenten - Longchamps Krawall-Luftschloss ohne Schluckbeschwerden. SVP-Präsident Maurer hingegen roch Lunte und konterte unverblümt. Longchamps Krawallstory sei doch nur eine faule Ausrede um seine Fehlprognose schön zu reden. Maurer fuhr fort und legte gleich Zeugnis für die eigene Zahlengläubigkeit ab: Er hätten schon im Sommer 2007 gewusst, dass die SVP auf 29% käme. Derweil stand Longchamp wie ein begossener Pudel da. Er machte ein paar rhythmische Bewegungen, als versuche er sein tropfnasses Fell trocken schütteln.

 

D. Wählertäuschung

Wäre Wählertäuschung ein Straftatbestand, wäre Eventualvorsatz erfüllt: SRG und Longchamp nehmen billigend in Kauf, Stimmberechtigte vor Urnengängen in die Irre zu führen. Nicht um sie - wie manchmal unterstellt wird - in eine bestimmte Richtung zu lenken, sondern aus purem Eigennutz. SRG und Longchamp können und wollen nicht eingestehen, dass Umfragen vor Urnengängen weitgehend für die Katz sind. Sie liefern bei Abstimmungen nur ein diffuses Stimmungsbild, das über den Wahlausgang kaum etwas besagt. Bei Nationalratswahlen (Wahlbarometer) sind die ungewaschenen Umfragezahlen oft dermassen absurd, dass die SRG Longchamp eine Blutprobe abnehmen oder ihn in eine psychiatrische Klinik einliefern müsste, wenn er sie (seine Zahlen) für bare Münze nähme. Zum Beispiel: SP holt die SVP ein - beide kommen auf 23% -, Grüne bei 13%, usw. Selbstverständlich ist Longchamp kerngesund, zumindest finanziell. Solche Umfrageergebnisse steckt er locker weg mit der "Begründung", das sei die bekannte Übervertretung linker Parteien. Sein "repräsentativer Querschnitt" ist eben hochgradig unrepräsentativ.

Um all das zu verschleiern werden vor einem Urnengang Shows mit eindrucksvollen Grafiken, geschönten Zahlen und Longchamps Lautmalerei abgezogen, die als exakte Momentaufnahme vermarktet werden. In Wirklichkeit sind die vor Abstimmungen vorgeführten Zahlen keine Umfrageergebnisse, sondern Longchamps spekulative Interpretation der Antworten von Befragten. Und vor Wahlen betreibt er im Wahlbarometer Variationen auf das letzte Wahlergebnis. Im Klartext: Statt Umfrageergebnisse vertreibt Longchamps Tipps - mit Wissen und Billigung der SRG.

 

E. Glückliche Symbiose als Kuhhandel.

Trotz Longchamps Fehlprognosen bei Abstimmungen praktizieren SRG und Longchamp eine glückliche Symbiose. Er benützt sie (die SRG) seit 1998 als Dukatenesel und Gratis-Werbeträger für sein Umfragegeschäft ( in der Tagesschau und in 10vor10). Wie erwähnt erzielte er 2009 nach eigenen Angaben 7% seines Umsatzes von 3.2 Millionen mit der SRG. Im Wahljahr 2007 waren es 17-18% (über eine halbe Million). Dafür liefert er ihr Feuerwerk und Petarden als Nervenkitzel für den Wahlkampf - Infotainment pur à la "Deal or No Deal". Vor einem Urnengang grassiert in Seldwyla der Zahlenhunger, welchen die SRG mit Zahlensalat aus der Hexenküche von Longchamp zu stillen weiss. Nicht zur Linderung der Hungersnot - der Nährwert der Umfrage ist ohnehin praktisch Null -, sondern aus purem Eigennutz. Die SRG braucht tolle Schlagzeilen, zur Wiederbelebung der Moral und Einschaltquote. Auch für Longchamp ging die Rechnung auf: Die SRG als Megaphon und Sponsor - die bestmögliche Werbung für sein privates Umfragegeschäft. Wenn die Wähler sich nicht an seine Prognosen halten, dann hat eben nach der Umfrage noch schnell ein Meinungsumschwung stattgefunden.

 

F. Die Zeche für den Kuhhandel

bezahlen jene, die auf den Zahlenzauber der SRG und Longchamp hereinfallen. Dazu gehören viele Wahlberechtigte und grosse Teile der classe politique. Nach der Annahme des Minarettverbotes rieb sich die Landesregierung verwundert die Augen, als wäre sie aus einem bösen Traum erwacht. Bundesrat Leuenberger führte im Nationalrat am 7.12.2009 seufzend aus:

"Auch der Bundesrat hat im Fall der Minarett-Initiative die Differenz zwischen Umfrage und Realität mit Erstaunen zur Kenntnis genommen und er erachtet sie angesichts der Tragweite von Abstimmungs-Ergebnissen als staatspolitisch gravierend."

 

G. Und die Moral von der Geschicht?

Die Geschichte hat keine Moral. Eine Hand wäscht die andere.

Wahlbarometer-Serie


1. Utopische Genauigkeit

Die SRG wünscht sich von Claude Longchamp exakte Zahlen. Bei Wahlen eine Nachkommastelle für Parteistärken. Unerwünscht ist alles, was den Glanz der vorgeführten Zahlen in Frage stellen könnte.


2. SRG-Wahlbarometer 2009: Parteien sind manisch-depressiv geworden

Am 3. September 2009 wurden in der Tagesschau die neuen Zahlen vorgeführt: "Schwächelnde SVP. Im SRG-Wahlbarometer verliert die Volkspartei 4.1 Prozent". Die SP habe 0.9% zugelegt, die CVP 0.8%, die Grünen 0.5%, während die FDP 1.0% verlor.

Das habe eine Umfrage bei 2035 Stimmberechtigen in der ganzen Schweiz ergeben. Nicht erwähnt wurde, dass der Verlust der SVP im wesentlichen auf einer Spaltung der SVP beruhte. SVP-Abtrünnige gründeten eine neue Partei (BDP), welche auf Anhieb auf 3.4% kam, also fast soviel wie die SVP verlor. Gut getarnt unter einer prächtigen Grafik mit markanten Säulen für Parteistärken war mikroskopisch klein "Fehlerbereich +/-2.2%" eingeblendet.

Im Klartext heisst dies: Wären 2035 andere Stimmberechtigte ausgelost und befragt worden, dann wären ganz andere Zahlen herausgekommen, die sich für jede Partei bis zu 4.4% unterscheiden können. Zum Beispiel kam die SVP gar nicht auf 24.8% und ebenso wenig die Grünen auf 10.1%. Unter Berücksichtigung der eingeblendeten Fehlermarge von +/-2.2% lautete das SRG-Umfrageergebnis für diese Parteien

und entsprechend für die andern. Natürlich wurde in der Tagesschau mit keinem Wort auf diesen - für den normalen Zuschauer atemraubenden - Fehlerbereich hingewiesen, denn sonst hätte die Moderatorin Katja Stauber augenzwinkernd beichten müssen:

"Fast alle Parteien sind seit Oktober 2007 manisch-depressiv geworden. Die Stimmungslage schwanke zwischen Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Das hänge davon ab, welche Stimmberechtigte Longchamp für seine Umfrage zufällig am Telefon erwischt habe."

"So verschlechterte oder verbesserte sich die SP von 19.5% auf irgendwo zwischen 18.2% und 22.6%, die FDP (inkl. Liberale) von 17.7% auf irgendwo zwischen 14.5% und 18.9%, die CVP von 14.5% auf irgendwo zwischen 13.1% auf 17.5% und die Grünen von 9.6% auf irgendwo zwischen 7.9% und 12.3%."

"Einzig die SVP ging wegen dem Rauswurf von Widmer-Schlumpf von 28.9% auf irgendwo zwischen 22.6% und 27.0% zurück. Auf eigenen Füssen kam die fremdgekürte Bundesrätin dank Zulauf auf irgendwo zwischen 1.2% und 5.6%."

Fazit: Die Umfrage von Longchamp lieferte einzig das Resultat, dass mit Ausnahme von SVP (und BDP) jede Partei entweder gewonnen oder verloren hat oder unverändert geblieben ist. Nur, wer hat das nicht gewusst? Wer braucht für diese Weisheit eine Umfrage aus dem "Forschungs"-Institut von Longchamp?

3. Der unbezahlbare Preis für eine höhere Genauigkeit

Der Fehlerbereich ist, wie im Folgenden gezeigt wird, allein wegen der Zufallsauswahl der Befragten weit grösser als die von Longchamp eingeräumten +/-2.2%. Aber auch mit +/-3% wäre kein Staat zu machen, denn mit einem Wahlbarometer der Form

SVP 22-28%, SP 18-24%, FDP 13-19%, CVP 12-18% und Grüne 7-13%

dürfte im Schweizer Fernsehen nur Viktor Giacobbo auf Sendung gehen. Allerdings nicht in der Tagesschau, sondern in Comedy.

Soll der Fehlerbereich verkleinert werden, dann müssen sehr viel mehr Wahlberechtigte (genauer Teilnahmewillige) befragt werden!

Claude Longchamp hat seine Vorstellungen über die Grösse des Fehlerbereiches in Abhängigkeit von der Anzahl der ausgelosten Befragten der SRG 2005 mit folgender Grafik klar gemacht (Wahlbarometer 2005 - Präsentation S. 19):

 


Bei 100 Befragten (bzw. Teilnahmewilligen) beträgt der Fehlerbereich +/-10%, bei 1000 +/-3.2%, bei 2000 +/-2.2%, bei 4000 +/-1.6% und bei 8000 +/-1.1%. Erst bei zehntausend Teilnahmewilligen würde sich der Fehlerbereich für die Parteistärken auf +/-1.0% reduzieren, bei einer Wahlbeteiligung von 50% müssten also zwanzigtausend Stimmberechtigte befragt werden.
Doch wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?

Nun werden Parteistärken im Wahlbarometer auf Promille genau angegeben. Wieviele Wahlberechtigte bzw. Teilnahmewillige dafür befragt werden müssten, kann man Longchamps Grafik nicht entnehmen. Hier hilft ein Gesetz aus der mathematischen Statistik weiter. Will man den Fehlerbereich halbieren (z.B von +/-2.2% auf +/-1.1%), muss die Zahl der Befragten vervierfacht werden (von 2000 auf 8000). Will man ihn um den Faktor drei verkleinern, sind neun Mal mehr Befragte erfordelich. Soll der Fehlerbereich um den Faktor zehn verkleinert werden - z.B. von +/-1% auf +/-1 Promille -, dann sind hundert Mal mehr Befragte erforderlich. Das kann man auch Longchamps Grafik entnehmen: Bei 100 Befragten beträgt der Fehlerbereich +/-10%, bei 10000 dagegen +/-1.0%. Bei 50 Teilnahmewilligen +/-14%, bei 5000 +/-1.4%.

Für eine Genauigkeit der Parteistärken auf +/-1% sind, wie bereits erwähnt, zehntausend Teilnahmewillige zu befragen. Um die vorgetäuschte Genauigkeit von einem Promille zu erreichen, müssten nochmals 100 Mal mehr Wahlberechtigte befragt werden, also eine Million Teilnahmewillige bzw. zwei Millionen Stimmberechtigte. Das sind nun einmal die Gesetze der mathematischen Statistik. Abgesehen davon dürfte die Durchführung einer Volksabstimmung billiger sein ...

SRG und Longchamp haben gemeinsam einen Ausweg aus diesem Dilemman gesucht und auch gefunden: Wunschdenken und Schlitzohrigkeit.

4. Longchamps statistisches Wunschdenken

Longchamps Vorstellungen über die Auswirkungen der Zufallsauswahl auf das Umfrageergebnis sind in seinen Berichten für die SRG zu finden, welche im Internet frei zugänglich sind. Nachdem er der SRG 2005 ins Stammbuch schrieb, Parteistärken seien mit Prozentzahlen ohne Nachkommastelle anzugeben (Wahbarometer Präsentation S. 20)


behauptet er neuerdings, der angegebene Fehlerbereich von +/-2.2% suggeriere zu grosse Unsicherheiten. Tatsächlich würden bereits Änderungen der Parteistärken im Bereich von +/-0.5% bis +/-1.0% leichte Gewinne bzw. Verluste signalisieren. Nur aus kleinen Veränderungen (bis +/-0.5%) lasse sich kein Trend ablesen, was er den Parteien mit der Zeugnisnote "Halten" bescheinigt. Ab +/-1.0% würden Verluste und Gewinne vorliegen. Die Zeugnisnoten übermittelte er der SRG eigens mit einer bunten Grafik (Umfragebericht S. 10):

Abgesehen davon dass seine Aussagen statistisch absurd sind und seinen obigen Angaben (siehe Grafik "maximaler Stichprobenfehler..") widersprechen, zeigen seine Zeugnisnoten, dass er auch mit der Nachkommastelle von Prozentzahlen Probleme hat. Nach seiner Notenskala hätten SP (+0.9%) und CVP (+0.8%) die Zeugnisnoten "leichte Gewinne" bekommen müssen, die FDP (-1.0%) dagegen "leichte Verluste". Stattdessen scherte er alle über einen Kamm und gab ihnen die Note "Halten". Was steckt dahinter? Rechenschwäche oder statistische Gewissensbisse?

5. Je mehr Nichtwähler befragt werden, desto genauer die Umfrage!

Longchamp mag behaupten, die oben erwähnte Tagesschau-Show sei auf dem Mist der SRG gewachsen. Er hätte in seinem Umfragebericht (Seite 5) die Ungenauigkeit mit +/-2.2% angegeben:

Für den Laien klingt das wissenschaftlich, wenn auch unverständlich. Für einen Statistiker hingegen ist das reine Hochstapelei. Denn sein Fehlerbereich von +/-2.2% bei 2035 Befragten basiert auf der Binomialverteilung und ist an zwei Voraussetzungen gebunden:

1. In der Schweiz gibt es nur zwei Parteien A und B und der Fragebogen enthält nur die eine Frage: "Stimmen Sie für A oder B?" Weitere Fragen sind nicht zugelassen, ebensowenig die Antwort "weiss nicht".
2. Die 2035 Befragten stellen eine reine Zufallsauswahl aus allen schweizerischen Stimmberechtigten dar.

Über die Absurdität von 1. braucht man sich weiter aufzuhalten, aber sie gehört nun einmal zum statistischen Weltbild von Longchamp. Fairer Weise ist anzumerken, dass dieser Aberglauben bei Politologen weit verbreitet ist und in deren Lehrbüchern in Stein gemeisselt ist. Es wird unbekümmert eine Formel aus der Statistik verwendet (Binomialverteilung), aber man foutiert sich um die äusserst restriktiven Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit.

Die Statistik stellt der Politologie durchaus auch Formeln für drei, vier, fünf .... Parteien zur Verfügung (Multinomialverteilungen), aber diese bescheren den Politologen deutlich grössere Fehlerbereiche. Denn je mehr Parteien auf dem Fragebogen stehen, desto grösser wird der Fehlerbereich. Bei drei Parteien vergrössert sich der Fehlerbereich (im Vergleich zu zwei Parteien) um 20%, bei vier um 25%, bei fünf um 30% und bei zehn sogar um 40%.

Was die unterstellte Zufallsauswahl der 2035 Befragten aus allen Stimmberechtigten der Schweiz betrifft, weiss Longchamp sehr wohl, dass dies nicht der Fall ist und auch gar nicht der Fall sein kann. Er versucht in der Deutschschweiz rund 1000 Stimmberechtigte zufällig auszuwählen, in der Westschweiz 600 und im Tessin 400. Selbst wenn ihm das gelungen wäre, können diese 1000+600+400 Befragten unmöglich eine Zufallsauswahl aus den Stimmberechtigten der Schweiz sein. Denn eine reine Zufallsauswahl würde ungefähr die tatsächlichen Grössenverhältnisse der drei Sprachregionen widerspiegeln, d.h. etwa 5% Tessiner und etwa 20% Westschweizer und etwa 75% Deutschschweizer, aber niemals 20% und 30% und 50% wie bei Longchamp.

Aber selbst wenn es in der Schweiz nur zwei Parteien geben würde und seine 2035 Befragten eine Zufallsauswahl gewesen wären, würde der Fehlerbereich mitnichten +/-2.2% betragen. Um seine Manipulationen zu durchschauen, muss man mehr als seine Zusammenfassung und seine "Hauptergebnisse" lesen. Auf Seite 8 findet man unter "Die Befunde" kleinlaut das Eingeständnis, die Wahlbeteiligung betrage 30%!



Auf Seite 9 findet man in der Grafik 4 gut versteckt die Zahl 714 (anstatt 2035).


Abgesehen von dem kleinen Schönheitsfehler, dass 30% von 2035 normalerweise 610 ergibt und nicht 714, heisst dies, dass er den Grossteil der 2035 Befragten als Nichtwähler eingestuft hat. Die Parteistärken hat er nur mit den Angaben dieser 714 Stimmberechtigten berechnet, was den Fehlerbereich massiv vegrössert, nämlich auf +/-3,7%. Diese Zahl kann man seiner obigen Grafik entnehmen. Bei 500 Teilnahmewilligen beträgt der Fehlerbereich nämlich +/-4.5%, bei 1000 +/-3.2%. Der Fehlerbereich für 714 liegt ungefähr in der Mitte dazwischen - also bei ca. +/-3.7%. Diesen Wert produziert auch sein Fehlerquotenberechner (Man klicke die Rubrik "Wissenwertes zur Statistik" an und dann "Vetrauensintervall berechnen" und tippe im Menue ein: Anzahl Fälle 714, Prozent 50. Longchamp tippte 2035 und 50% ein und kam so auf +/-2.2%.). Das Longchampsche Umfrageresultat auf der Basis von 714 Teilnahmewilligen hätte also lauten müssen

SVP 21.1 - 28.5%
SP 16.7- 24.1%
FDP 13.0 - 20.4%
CVP 11.6% - 19.0%
Grüne 6.4 -
13.8%

Wenn er seine Zahlen der SRG in dieser Form vorgelegt hätte, hätte ihn diese entweder eine Blutprobe abgenommen oder ihn in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

Durch den Einbezug von Nichtwählern hat er den Stichprobenumfang massiv aufgebläht und so die Ungenauigkeit von +/-3.7% auf +/-2.2% herunter gemogelt. Tatsächlich beträgt die durch die Zufallsauswahl der Befragten verursachte Ungenauigkeit mehr als +/-4%.

Wie man sieht, operiert er bei der Umfrage-Genauigkeit mit der Methode

Würde man zum Beispiel eine Million Stimmberechtigte befragen, unter denen sich nur ein Wähler befindet, dann würde die Ungenauigkeit offensichtlich gegen 100% betragen. Nicht so bei Longchamp: Bei ihm wäre sie praktisch 0%!

Eine ähnliche krumme Tour macht Longchamp mit den gut 400 bzw. 600 Befragten aus der italienisch- bzw. französischsprachigen Schweiz, die in seinem "repräsentativen" Querschnitt von 2035 Befragten massiv übervertreten sind. Bei seiner Berechnung der Fehlermarge ignoriert er das und zählt die "Tessiner" und Westschweizer voll mit. Würde er alle teilnahmewilligen "Tessiner" und alle Westschweizer befragen, was ihm einen "repräsentativen" Querschnitt von über einer halben Million bescheren würde, dann produziert sein Fehlerquotenberechner einen Fehlerbereich von +/-0.1% - unabhängig von der Anzahl der befragten Deutschschweizer! Als könnten Tessiner und Westschweizer die Fehler der Zufallsauswahl bei den Deutschschweizern kompensieren.

6. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing": Auf ausdrücklichen Wunsch der SRG mutiert Longchamp zum Gaukler, der auf einer Sonnenuhr Sekundenbruchteile abliest.

Im Wahlbarometer 2005 ( Präsentation S. 20) hatte Longchamp der SRG noch die Stirn geboten und gab Parteistärken mit ganzen Prozentpunkten an:

In die Umgangssprache übersetzt heisst der erste Punkt: Die durch die Zufallsauswahl der Befragten verursachten Fehler sind meist grösser als die Veränderungen der Parteistärken von einer Nationalratswahl zur nächsten. Folglich kann man mit Umfragen nichts über den Trend der Parteistärken aussagen. Der dritte und vierte Punkt besagen, dass die Angabe von Parteistärken mit Nachkommastelle - und erst recht deren Veränderung von einer Umfrage zur nächsten - Scharlatanerie ist.

Für die Nationalratswahlen 2007 beugt er sich dem Genauigkeits-Fimmel der SRG und rüstet die Parteistärken mit einer Nachkommastelle auf. In der Tagesschau und in 10vor10 tritt er cool als Gaukler auf, der auf einer Sonnenuhr Sekundenbruchteile abliest. Seine Show müsste eigentlich heissen "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing". Longchamp sieht das ähnlich, aber er drückt es mit versöhnlichen Worten aus: .

"Das (die Nachkommastelle) geschieht auf ausdrücklichen Wunsch der SRG".
Nachzulesen in seinem technischen Bericht an die SRG vom 6.10.2006 (S. 8, 2. Absatz)

7. SRG-Wahlbarometer ist reine Augenwischerei

Auf Geheiss der SRG hat Longchamp in neun Wahlbarometern 2007 nicht nur die Parteistärken auf Promille genau angegeben, auch deren Auf und Ab wurde von ihm "gelehrt" mit politischen Ereignissen in Verbindung gebracht. Dies, obwohl die von ihm vorgeführten Veränderungen regelmässig unter einem Prozent lagen! Höhepunkt der Scharlatanerie von Longchamp war das 7. Wahlbarometer mit dem Paukenschlag

Damit haben SRG und Longchamp eine Debatte über die Sitzverteilung im Bundesrat losgetreten. Da die CVP nun stärker als FDP sei, könne sie Anspruch auf einen der beiden FDP-Sitze erheben. Dabei betrug der Vorsprung der CVP auf die FDP sagenhafte drei Promille! Wieviel Promille Longchamp hatte, wurde im Wahlbarometer nicht verraten.
Fazit: Die Wahlbarometer-Show 2007 war reine Augenwischerei. Für die Nationalratswahlen 2011 wird es im gleichen Stil weitergehen.

8. Longchamps Zahlen sind als Umfrageergebnisse getarnte Tipps

Wie er seine Zahlen fabriziert, blieb immer sein Geheimnis. Dass an seinen Zahlen etwas faul ist, sieht das Auge eines Statistikers an den kleinen Veränderungen von einer Umfrage zur nächsten, die meist unter einem Prozent liegen. Diese sind nämlich kein Gütesiegel für "Präzisionsmessungen", sondern das untrügliche Symptom für Manipulation - wie Fingerabdrücke auf Diebesgut. Wenn nämlich - wie im Wahlbarometer - nur 1000 zufällig ausgewählte Deutschschweizer, 600 Westschweizer und 400 Tessiner befragt werden, dann tritt oft von einer Umfrage zur nächsten bei mindestens einer Partei eine erdrutschartige Veränderung auf (+/-3% und mehr). Das ist eine zwangsläufige Folge der Zufallsauswahl, was nur durch eine massive Erhöhung der Anzahl der Befragten verhindert werden könnte. Weil solche Sprünge unplausibel sind und die Glaubwürdigkeit des Wahlbarometers in Frage stellen würden, werden sie (die Sprünge) von Longchamp wegretouchiert. Sein Wahlbarometer-Zahlenwerk zeugt von reiner Handarbeit!

Die SRG steckt den Kopf in den Sand und lässt ihn gewähren. Müsste er seine Datensätze vollständig offen legen, würde für jedermann klar, was Insider schon lange wissen: Die im Schweizer Fernsehen zur Schau gestellten Zahlen sind keine Umfrageergebnisse, sondern Tipps von Longchamp! Der Historiker Longchamp bestreitet das nicht, nur hat er dem Kind einen andern Namen gegeben: Das Fälschen von Umfrageeegebnissen nennt er "Gewichten" nach seinen "Geheim-Methoden". O-Ton Longchamp auf Demoskopisch (Umfragebericht Seite 6):

9. Longchamp digitalisiert sein Bauchgefühl

Die Digitalsierung des Bauchgefühls ist von Noelle-Neumann in Deutschland salonfähig gemacht worden. Geschäftsgrundlage für Prognosen in Deutschland und der Schweiz ist die politische Stabilität. Die tatsächlichen Umfrageergebnisse werden euphemistisch als "Rohergebnisse" bezeichnet, die einer Nachbehandlung bedürfen. Frühere Wahlresultate werden "Handgelenk mal Pi" fortgeschrieben und als neue Umfrageergebnisse verkauft, wobei zwischenzeitliche Landtagswahlen in Deutschland bzw. kantonale Wahlergebnisse in der Schweiz klammheimlich einfliessen. In Deutschland heisst dieses Handwerk "Politische Gewichtung", Longchamp nennt es "Recall-Gewichtung" (Recall = Erinnerung an das Ergebnis der letzten Nationalratswahlen). Auf diese Weise werden die methodenbedingten Ungenauigkeiten von Umfragen kaschiert. Wegen der Auswirkungen auf das kommerzielle Umfragegeschäft können Meinungsforscher nämlich unmöglich eingestehen, dass sie ihren Umfrageergebnissen vor Wahlen nicht über den Weg trauen und sich für Prognosen lieber auf ihr Bauchgefühl verlassen ...

 

10.

Longchamps Minarett-Prognose und weshalb er auf die Nase fiel weiter.


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