Am 16. April 2003 wurden von Focus neue Umfrageergebnisse von Infratest-dimap über die Wahlen in Bremen veröffentlicht. Aus Kosten- und Zeitgründen kann nur ein winziger Bruchteil aller Wahlberechtigten befragt werden. Infratest-dimap hat diesmal 1000 Wahlberechtigten befragt, deren Telefonnummern ausgelost wurden. Das Umfrageergebnis lautete
Union 35%, SPD 42%, Grüne 13%, FDP 4%, Sonstige (DVU, PDS usw.) 6%
Offensichtlich ist es nicht repräsentativ für alle Wahlberechtigten, denn es hängt davon ab, welche 1000 Wahlberechtigte ausgelost wurden. Verschiedene Auslosungen führen zu verschiedenen Ergebnissen. Für jede Partei gibt es deshalb nicht eine Prozentzahl, sondern ein ganzes Band von möglichen Prozentzahlen. Welche Prozentzahl die richtige ist, läßt sich nicht feststellen. Für die Beurteilung des Informationswertes einer Umfrage ist es daher unerläßlich, diese Bandbreite für jede Partei zu kennen. Dies läßt sich mit Hilfe einer Computersimulation erreichen. Das Umfrageergebnis lautet dann nicht, wie von Focus kolportiert, sondern
CDU | SPD | Bündnis90/Grüne | FDP | Sonstige |
29,4 - 40,6 | 36,4 - 47,6 | 10,2 - 15,8 | 1,2 - 6,8 | 3,2 - 8,8 |
(Berechnungsgrundlage: Wahlbeteiligung 60% (wie 1999) und die Prognose soll mit einer Wahrscheinllichkeit von 95% richtig sein. Die weit größeren Fehlerquellen - wie z.B. falsche Angaben, Antwortverweigerung, erfolglose Kontaktversuche usw. - sind dabei nicht berücksichtigt.)
Wie man sieht, verkörpert das Umfrageresultat ein wahres demoskopisches Schlaraffenland. Es macht alle Parteien wunschlos glücklich. Zunächst bestätigt es die Möglichkeit einer großen Koalition. Doch wer braucht dafür eine Umfrage? Die CDU sieht sich mit gebührendem Abstand hinter der SPD, sodaß Henning Scherf als Bügermeister nicht vom Sockel fällt und die große Koalition weiterknobeln darf. Die SPD - jedenfalls Henning Scherf und seine Anhänger - lesen das Umfrageergebnis genau so. Die Grünen hingegen fühlen sich mit 15,8% bärenstark und sehen die SPD hinter der CDU, was Henning Scherf vom Sockel haut und die große Koalition zum Platzen bringt und somit den Weg für Grünrot freimacht. Auch die FDP feiert mit dem Umfrageergebnis ihre Wiederauferstehung: Mit 6,8% schafft sie locker die 5%-Hürde und da die CDU auf 40,6% kommt, kann Bremen endlich von Schwarzgelb saniert werden. Auch der grüne Teil der SPD - der nicht so scherf auf Henning ist - beerdigt mit dem Umfrageergnis die große Koalition und bringt Rotgrün an die Macht - z.B. Grüne 12%, SPD 38%, CDU 39% und die Sonstigen wie FDP, DVU, PDS unter 5% .
Focus erweckt den Eindruck, die präsentierten Zahlen seien exakt. Von
Fehlern ist kiene Rede. Hingegen wird auf der Internetseite von Infratest-Dimap
eine "Fehlertoleranz" von 3,1 Prozentpunkten für die großen
und 1,4 Prozentpunkten für die kleinen Parteien eingestanden. Nach
Adam Riese lautet das Umfrageergebnis nicht wie in Focus verkündet, sondern
CDU | SPD | Bündnis90/Grüne | FDP | Sonstige |
31,9 -38,1 | 38,9 - 45,1 | 11,6 - 14,4 | 2,6 - 5,4 | 4,6 - 7,4 |
Infratest-Dimap
schweigt sich auf seiner Internetseite darüber aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit
diese (viel zu kleinen) Fehlertoleranzen eingehalten werden. Der unten angeführten
Tabelle kann man entnehmen, daß diese etwa 48% beträgt. Mit anderen
Worten: In jeder zweiten Umfrage ist der Fehler für eine große Partei
größer als +/- 3,1% oder für eine kleine Partei größer
als +/- 1,4% .
Die in der gelben Tabelle angegeben Fehler, die durch die Zufallsauswahl der befragten Wahlberechtigten verursacht werden, kann man auch als Laie mit Hilfe der Mißerfolgs-Statistik von Umfragen verifizieren. Man gibt in der Input-Spalte (linke Seite der Tabelle) die vom Bonner dimap-Institut angeführten Parteistärken
CDU/CSU 35, SPD 42, FDP 4, Grüne 13 und Sonstige 6 Prozent
ein. Im Block oben rechts gibt man als "Anzahl der Wahlberechtigten pro Umfrage" 1000 an - soviele Wahlberechtigte wurden laut Infratest-dimap befragt - und setzt für die Wahlbeteiligung die 60% ein, wie dies 1999 der Fall war. Für die Anzahl der Umfragen (Auslosungen) wähle man zunächst 1000 - bei größeren Zahlen kann die Berechnung sehr lange dauern. Mit "LOS" wird die Simulation gestartet. In der untersten Tabellenzeile der "Mißerfolgsstatistik" kann man das Resultat der Simulation ablesen. Es zeigt sich, daß etwa
2% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 1% für die großen Parteien und +/- 0,5% für die kleinen einhalten
21% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 2% für die großen Parteien und +/- 1% für die kleinen einhalten
53% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 3% für die großen Parteien und +/- 1,5% für die kleinen n einhalten
78% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 4% für die großen Parteien und +/- 2% für die kleinen einhalten
Genauere Resultate kann man der untern angeführten Tabelle entnehmen. Man sieht, daß knapp 95% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 5,6% für große Parteien und +/- 2,8% für kleinen einzuhalten vermögen. Aber 5% der Umfragen (Auslosungen) schaffen nicht einmal das. Mit andern Worten, in jeder zwanzigsten Umfrage (Auslosung) übersteigt der Fehler für eine große Partei +/- 5,6% oder für eine kleine Partei +/- 2,8%!
Scherzfrage: Wie viele von 100 Umfragen schaffen es, die von Infratest-Dimap
vermarkteten Parteistärken (CDU/CSU 35, SPD 42, FDP 4, Grüne 13 und
Sonstige 6 Prozent) zu treffen?
Maximale Abweichung
|
eingehalten von | |
für große Parteien | für kleine Parteien | (in Prozent von 100000 Umfragen) |
1,0% | 0,5% | 2% |
1,2% | 0,6% | 4% |
1,4% | 0,7% | 7% |
1,6% | 0,8% | 11% |
1,8% | 0,9% | 16% |
2,0% | 1,0% | 21% |
2,2% | 1,1% | 27% |
2,4% | 1,2% | 33% |
2,6% | 1,3% | 40% |
2,8% | 1,4% | 46% |
3,1% | 1,4% | 49,1% |
3,0% | 1,5% | 53% |
3,2% | 1,6% | 59% |
3,4% | 1,7% | 64% |
3,6% | 1,8% | 69% |
3,8% | 1,9% | 74% |
4,0% | 2,0% | 78% |
4,2% | 2,1% | 81% |
4,4% | 2,2% | 84% |
4,6% | 2,3% | 87% |
4,8% | 2,4% | 89% |
5,0% | 2,5% | 91% |
5,2% | 2,6% | 93% |
5,4% | 2,7% | 94% |
5,6% | 2,8% | 95% |
5,8% | 2,9% | 96% |
6,0% | 3,0% | 97% |
6,2% | 3,1% | 97,4% |
6,4% | 3,2% | 98% |
>6,4% | >3,2% | 2% |