Box 17: Wie das Politbarometer zur Gewichtung verdonnert wurde

Erwin K. Scheuch, Rheinischer Merkur Nr. 37/1987 (Merkur Extra):

"Wie wichtig Parteien die Veröffentlichung solcher Wahlvoraussagen nehmen, wird an einer Kontroverse über das sogenannte Politbarometer des ZDF deutlich. Diese Sendung berichtet nicht nur über die Meinung der Wähler, sondern pflegt als prominenteste Mitteilung das Ergebnis einer Frage nach der Parteisympathie vorzustellen. Daneben stellen Meinungsforschungsinstitute, die auch im Fernsehen zu Wort kamen und kommen, die sogenannte Sonntagsfrage, die wissen will, was er am nächsten Sonntag täte, gäbe es dann etwas zu wählen. Die Ergebnisse der Sonntagsfrage und der Sympathiefrage zeigten immer eine erhebliche Abweichung. Das kann nicht verwundern, weil eben verschiedene Dinge erfragt wurden. Aber nicht nur das Fragen war verschieden, sondern auch das Behandeln der Antworten, bevor sie publiziert wurden. Kein Umfrageinstitut veröffentlicht nämlich solche Antworten, ohne sie zu verändern, zu gewichten. Damit sollen Fehler ausgeglichen werden, die sich aus Antwortverweigerungen und anderen Störfaktoren ergeben können. Beim Politbarometer wurde das anders gewichtet als bei den übrigen Umfrageinstituten mit ihrer Sonntagsfrage, was an sich nur Fachleute zu interessieren braucht. Ich erlaubte mir in einem Aufsatz darauf zu verweisen, daß bei der Sympathiefrage die CDU 1986 mehrere Prozentpunkte --meist um drei bis vier - unter den Werten der anderen Institute lag, die SPD aber wesentlich stärker erschien als bei den Berichten über die Sonntagsfrage. "Zuschauer mißverstehen das Barometer aber als Aussage über die Wahlchancen", überschrieb ich meinen Beitrag.

Das las die CDU als eine Bestätigung ihrer Vermutung, das Politbarometer betreibe mit seinen Zahlen Stimmungsmache zu Gunsten der SPD, und setzte entsprechend beim ZDF durch, daß in Zukunft die Forschungsgruppe Wahlen neben den Ergebnissen für die Sympathiefrage auch die Ergebnisse für die Sonntagsfrage vorzustellen habe. Deren bis dahin im ZDF veröffentlichten Ergebnisse sahen bei der Forschungsgruppe Wahlen nämlich auch nicht anders aus als bei den anderen Forschungsinstituten. Wie wichtig aber auch die SPD die Suggestivwirkung guter Ergebnisse für sich selber nahm, zeigt sich an den wütenden Angriffen im "Vorwärts" auf diese Erweiterung der Berichterstattung."

 

Kommentar: Beim Lesen des obigen Artikels von E.K. Scheuch entsteht der Eindruck, die Sympathiefrage und die Sonntagsfrage seien zwei völlig verschiedene Dinge, welche beide auf Umfrageergebnissen beruhen, und das Politbarometer habe vor März 1986 nur die Resultate der Sympathiefrage auf den Bildschirm gebracht, nicht aber diejenigen der Sonntagsfrage.

Das Politbarometer stellt die Sympathiefrage und die Sonntagsfrage. Nach den mir vorliegenden Unterlagen über 21 Monate von Januar 1986 bis November 1987 sowie September/Oktober 1985 - es gelang mir nicht, die Unterlagen für die Monate November und Dezember 1985 zu erhalten - stimmen die Antworten auf die beiden Fragen erstaunlich gut überein. Die Abweichungen liegen für die vier Parteien meist unter einem Prozent. Für jede Partei sind die Abweichungen sowohl positiv als auch negativ und sie heben sich im Durchschnitt praktisch auf.

Wenn das Politbarometer seine Berichterstattung wie gefordert erweitert hätte, dann hätte es meist zweimal die gleichen bzw. nur unwesentlich verschiedene Zahlen auf den Bildschirm bringen müssen. Dies war nicht der Sinn der Aktion. Das Politbarometer sollte die tatsächlichen Ergebnisse umgewichten (d.h. verfälschen), wie dies in der Prognoseindustrie üblich ist. Der Vorschlag, die Meßergebnisse der Union um 3% bis 4% zu erhöhen, wurde durch die Ereignisse 1986/87 ad absurdum geführt. Dies hätte vom September 1986 bis Mai 1987 meist zu einer absoluten Mehrheit für die CDU/CSU geführt. Von November 1986 bis April 1987 wurden die Umfrageergebnisse für die CDU/CSU um durchschnittlich 2% heruntergewichtet, was das Schreckgespenst einer absoluten Mehrheit vom Fenster räumte.

Wie aus den Graphiken auf den vorangehenden Seiten hervorgeht, ergab die Gewichtung 1986/87 keinen erkennbaren SINN außer dem der Glättung zwecks Kompensation auslosungsbedingter Abweichungen und der Vortäuschung eines kontinuierlichen zeitlichen Trends. Die Gewichtung stellte sicher, daß die CDU/CSU nie "zu wenige", aber auch nie "zu viele" Prozente bekam. Zusammen mit der FDP wurde eine stetige Mehrheit von 50 bis 54% sichergestellt, egal wie die tatsächlichen Umfrageergebnisse lauteten.

Das Politbarometer zu zwingen, seine Umfrageergebnisse so zu fälschen, wie es in der Prognoseindustrie üblich ist, betrachte ich nicht als eine "sinnvolle Erweiterung" der Berichterstattung. Eine solche würde allenfalls darin bestehen, daß das Politbarometer die Chance seiner Prognose - d.h. den auslosungsbedingten Spielraum - bekannt gibt, wie es in Abschnitt VII illustriert wird. Dann würde sich das Problem der Gewichtung von selbst lösen ...

 

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