Aktuelle Umfragen zur Bayern-Wahl am 21. September 2003


Ein Spaziergang für Edmund Stoiber soll die Bayern-Wahl werden. Das Meinungsklima sei über den Sommer stabil gewesen, berichten Meinungsforscher und Medien unisono:

Datum CDU SPD Grüne FDP Freie Wähler Institut Anzahl der Befragten
11.09.03
59
20
8
4
4
Infratest-dimap 1000
09.09.03
61
20
8
4
-
Forsa 1006
05.09.03
60
22
8
3
4
Forschungsgruppe Wahlen 1033
13.08.03
60
21
8
3
-
Forsa 1001
13.09.1998

52,9

28,7

5,7

1,7

-
amtl. Wahlergebnis 8'846'155 Wahlberechtigte

Alles klar! Weshalb sollten die Bayern bei diesem herrlichen Herbstwetter überhaupt zur Urne gehen? Das ist in der Tat die einzige Sorge von Edmund Stoiber: "Wenn Sie zur Wahl gehen, nehmen Sie doch ihre Oma, Schwiegermutter usw. mit an die Urne", ruft er von der Zugsspitze seinen Untertanen zu. Über die Wahlbeteiligung hüllen sich die Auguren in Schweigen. Seit 1990 schwankte sie zwischen 66% und 70%.

Alles klar?

Vergessen ist das Fiasko bei der kürzlichen Bremen-Wahl, als die Meinungsforscher unisonso ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD verkündeten, die CDU dann aber 12% hinter der SPD landete. Vergessen ist auch, daß bei der letzten Bayern-Wahl im Jahre 1998 die CDU um 3% unterschätzt und die SPD um 3% überschätzt wurde. Ein nicht lesebehinderter stern-Leser müßte Schluckauf bekommen, wenn er im stern in der Berichterstattung über die Bayern-Wahl liest:

Zur Feststellung der Parteipräferenz in Bayern befragte Forsa zwischen dem 1. und 5. September im Auftrag von stern 1006 repräsentativ ausgesuchte bayerische Staatsbürger. Die statistische Fehlertoleranz liegt bei +/- 3 Prozentpunkten.

Das Umfrageergebnis lautete also nicht wie im stern verkündet, sondern

CSU SPD Grüne FDP Freie Wähler
58- 64 17 - 23 5 - 11 1 - 7 1 - 7

Mit andern Worten, FDP und die Freien Wähler kommen gar nicht auf 4%, sondern liegen irgendwo zwischen 1% und 7% - zwischen himmel-hoch-jauchzend und zu Tode betrübt. Und die Grünen rudern händeringend zwischen 5% und 11% hin und her. Der stern-Artikel ist also über weite Strecken nicht mehr als spaltenfüllendes Geschwätz.

Nicht anders geht es im ZDF und in der ARD zu. Den Fernsehzuschauern wird verheimlicht, daß die aufgetischten Zahlen Augenwischerei sind. Im Internet hingegen wird eingeräumt, daß die Zahlen sehr ungenau sind und daß die Fehlerbreite für große Parteien etwa 6% beträgt und für die kleinen etwa 3%. Mit andern Worten, das ZDF-Politbarometer müßte seine Umfrageergebnisse in folgender Form darstellen (siehe mittlere Spalte - bis zum Ende scrollen)

CSU SPD Grüne FDP Freie Wähler
57 - 63 19 - 25 6,4 - 9,6 2,4 - 5,6 2,4 - 5,6

und die ARD (siehe home page von Infratest-dimap)

CDU/CSU SPD Bündnis90/Grüne FDP Freie Wähler
55,9 - 62,1 16,9 - 23,1 6,6 - 9,4 2,6 - 5,4 2,6 - 5,4

Mit Rücksicht auf die Einschaltquote wird dieser Offenbarungseid dem Gebühren zahlenden Publikum erspart. In Wirklichkeit sind die Fehler weit größer, denn die Fehlerberechnungen sind falsch: Da wird klammheimlich vorausgesetzt, daß

Der Duft von Lottozahlen

Aus Kosten- und Zeitgründen wird nur ein winziger Bruchteil aller Wahlberechtigten befragt. Die Geschichte von "repräsentativ ausgesuchten Wahlberechtigten", wie sie im stern und anderswo unermüdlich aufgetischt wird, ist ein reiner Etikettenschwindel. In Wirklichkeit werden Telefonnummern ausgelost. Es werden rund 1000 Wahlberechtigte telefonisch interviewt - also etwa einer von 10'000. Da jede Auslosung zu anderen Ergebnissen führt, gibt es für jede Partei nicht nur eine, sondern ein ganzes Band von möglichen Prozentzahlen. Welche Zahl die richtige ist, läßt sich nicht feststellen. Bei einer Wahlbeteiligung von 65% beträgt die auslosungsbedingte Bandbreite für große Parteien 9,2% und für kleine 4,6% (Sicherheitswahrscheinlichkeit 95%). Hat man z.B. in einer Umfrage für die CSU 60% ermittelt und für die SPD 20%, die Grünen 8 %, die FDP und die Freien Wähler je 4%, dann lautet das wahre Umfrageergebnis

Als Lachnummer wunderbar, aber als Umfrageergebnis ungenießbar. Das gesteht natürlich kein Meinungsforscher ein und niemand würde das veröffentlichen. Aber die Vermarktung von Umfrageresultaten ohne Angabe von Fehlerbandbreite und Sicherheitswahrscheinlichkeit ist so irreführend wie die Reklame einer Landeslotterie, durch den Kauf von Losen werde man Millionär. Die Chance, daß man durch zufällige Auswahl von 1000 Wahlberechtigten das tatsächliche Resultat erhält, ist praktisch Null. Man muß sich dabei vor Augen führen, daß bei einer 65%-igen Wahlbeteiligung nur etwa 650 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte verwertbare Angaben liefern. Es ist daher nicht überraschend, daß solchen Umfrageergebnissen der Duft von Lottozahlen anhaftet.

Getürkte Zahlen

Das Überraschende und Suspekte besteht vielmehr darin, daß drei unabhängige Meinungsforschungsinstitute Forsa, Forschungsgruppe Wahlen und Infratest-dimap innerhalb weniger Tage mit Umfrageergebnissen aufwarten, die sich fast wie ein Ei dem andern gleichen. Bei einer Zufallsauswahl wäre das äußerst unwahrscheinlich. Selbst wenn die drei Institute am Abend des 21. Septembers aus den Wahlurnen 650 Stimmzettel zufällig auswählen dürften, so würden bei mindestens einer Partei eklatante Unterschiede auftreten. Für einen Mathematiker ist das ein klarer Hinweis darauf, daß es sich um getürkte Zahlen handelt. So, wie das Forsa-Chef Manfred Güllner in einem detaillierten Artikel mit dem bezeichnenden Titel "Der geschönte Wähler" erzählt hat. (Die Woche 1994). Frau Noelle-Neumann, die bekannteste Meinungsforscherin Deutschlands, hat sich öffentlich damit gebrüstet, daß sie an Umfrageergebnissen massiv herumdoktert:

"Zwischen dem, was wir an Rohergebnissen erhalten und dem, was wir als Prognose veröffentlichen, liegt manchmal eine Differenz von zehn oder elf Prozent." (Rheinischer Merkur, 11.09.1987)

Die Ergebnisse zur Sonntagsfrage taugen nichts für Wahlprognosen!

Die Meinungsforscher begründen ihre Gewalttätigkeit gegenüber Umfrageergebnissen damit, sie könnten mit der Sonntagsfrage nur "Stimmungen" messen, aber keine Stimmen zählen. Das hört sich so an, als hätte man den "repräsentativen" Wahlberechtigten keine konkrete Frage gestellt - nämlich die Sonntagsfrage - sondern eine Art Polit-Thermometer unter den Arm geklemmt und die politische Temperatur gemessen. Das ist doch Meinungsklima-Schmu in Reinkultur! Damit soll einzig das tatsächliche Problem verschleiert werden: Die Ergebnisse zur Sonntagsfrage taugen nichts für Wahlprognosen!Aus diesem Grund wurde im ZDF-Politbarometer 1985 die doppelte Buchführung eingeführt. Die Ergebnisse zur Sonntagsfrage werden nach einer ausgiebigen Vorwäsche als "momentane politische Stimmung" vorgeführt. Daneben werden Zahlen zur Sonntagsfrage unter der Flagge "Projektion - Wenn am nächsten Sonntag wirklich Wahl wäre .." präsentiert, die den Anschein erwecken, als handle es sich um gemessene Werte. In Wirklichkeit handelt sich um reine Spekulationen. Für die Bayern-Wahl wurden im ZDF-Politbarometer die Umfrageergebnisse nicht als "politische Stimmung" präsentiert, sondern als Projektion. Das ist ein klarer Hinweis darauf, daß es sich um getürkte Zahlen handelt.

Wählertäuschung (StGB §108a)

Nur warum werden die Wähler über diesen Sachverhalt nicht informiert? Warum verheimlicht man ihnen systematisch, daß Prognosen nicht tatsächliche Ergebnisse zur Sonntagsfrage darstellen, sondern lediglich Tips von Meinungsforschern beinhalten? Der Tatbestand der Täuschung "Erstellung oder Vorspiegelung falscher bzw. Unterdrückung wahrer Tatsachen" ist bei der Sonntagsfrage zur Routine geworden. Es wäre Aufgabe der Politik und der Gerichte das abzustellen. Hierfür wäre der bestehende Paragraph über Wählertäuschung (StGB §108a) leicht zu verschärfen, um diese Spielart der Täuschung zu erfassen und allen daran Beteiligten das Handwerk zu legen - den Meinungsforschern und den Medien.

 

Technische Information:

Die oben angegeben Fehler, die durch die Zufallsauswahl von 1000 befragten Wahlberechtigten verursacht werden, kann man auch als Laie mit Hilfe der Mißerfolgs-Statistik von Umfragen verifizieren. Man gibt in der Input-Spalte (linke Seite der Tabelle) die kolportierten Parteistärken

CSU 60, SPD 20, FDP 4, Grüne 8 und Freie Wähler 4 Prozent

ein (Achtung: In der Inputspalte gibt keine Eingabemöglichkeit für "Freie Wähler". Man gibt 4% bei der PDS ein und ersetzt die PDS durch "Freie Wähler". Dem Computerprogramm ist es egal, wie die Parteien bezeichnet werden). Im Block oben rechts gibt man als "Anzahl der Wahlberechtigten pro Umfrage" 1000 an - soviele Wahlberechtigte wurden von den drei Instituten befragt - und setzt für die Wahlbeteiligung 65% ein. Für die Anzahl der Umfragen (Auslosungen) wähle man zunächst 1000 (oder 10 000)- bei größeren Zahlen kann die Berechnung sehr lange dauern. Mit "LOS" wird die Simulation gestartet. In der untersten Tabellenzeile der "Mißerfolgsstatistik" kann man das Resultat der Simulation ablesen. Es zeigt sich, daß etwa

4% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 1% für die großen Parteien und +/- 0,5% für die kleinen einhalten

32% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 2% für die großen Parteien und +/- 1% für die kleinen einhalten

69% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 3% für die großen Parteien und +/- 1,5% für die kleinen n einhalten

90% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 4% für die großen Parteien und +/- 2% für die kleinen einhalten

Detaillierte Resultate kann man der untern angeführten Tabelle entnehmen. Man sieht, daß ca. 95% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 4,6% für große Parteien und +/- 2,3% für kleinen einzuhalten vermögen. Aber 5% der Umfragen (Auslosungen) schaffen nicht einmal das. Mit andern Worten, in jeder zwanzigsten Umfrage (Auslosung) übersteigt der Fehler für eine große Partei +/- 4,6% oder für eine kleine Partei +/- 2,3%!


Scherzfrage: Wie viele von 100 Umfragen schaffen es, die von Infratest-Dimap vermarkteten Parteistärken (CDU/CSU 60, SPD 20, FDP 4, Grüne 8 und Freie Wähler (alias PDS) 4 Prozent) zu treffen?

Scherzfrage: Wie viele von 10000 Umfragen schaffen es, die von Infratest-Dimap vermarkteten Parteistärken (CDU/CSU 60, SPD 20, FDP 4, Grüne 8 und Freie Wähler (alias PDS) 4 Prozent) zu treffen?

Maximale Abweichung
eingehalten von
für große Parteien für kleine Parteien (in Prozent von 100000 Umfragen)
1,0% 0,5% 4%
1,2% 0,6% 7%
1,4% 0,7% 12%
1,6% 0,8% 17%
1,8% 0,9% 24%
2,0% 1,0% 32%
2,2% 1,1% 40%
2,4% 1,2% 48%
2,6% 1,3% 55%
2,8% 1,4% 62%
3,0% 1,5% 69%
3,2% 1,6% 74%
3,4% 1,7% 79%
3,6% 1,8% 84%
3,8% 1,9% 87%
4,0% 2,0% 90%
4,2% 2,1% 92%
4,4% 2,2% 94%
4,6% 2,3% 95%
4,8% 2,4% 96%
5,0% 2,5% 97%
>5,0% >2,5% 3%
Grundlage der Simulation: 100000 Wiederholungen, Parteistärken wie oben angegeben , ebenso Stichprobenumfang (1000) und Wahlbeteiligung (65%).