Hier finden Sie eine Zusammenstellung von Prognosen im Vorfeld von Landtags- und Bundestagswahlen und den tatsächlichen Wahlresultaten. Wahlprognosen haben hierzulande keinen schlechten Ruf. Abgesehen von gelegentlichen Pannen gelten sie als ziemlich treffsicher. Demnach sollten Fehlprognosen selten vorkommen. Die Realität sieht anders aus. Seit dem Superwahljahr 2004/5 jagt eine spektakuläre Fehlprognose die nächste.
Auftakt: Drei Kostproben von Frau Noelle-Neumann
Als Vorspeise werden drei Prognosen aus der Feldküche von Frau Noelle-Neumann in Allensbach am Bodensee serviert, die bekanntlich Wahlprognosen zu ihrem Wahr- und Markenzeichen gemacht hat:
Bundestagswahl 2002
Wer hat noch nicht vergessen, dass im Vorfeld der BTW 2002 Frau Noelle-Neumann und ihr Allensbach-Institut der FDP in der FAZ über Wochen Werte um die 12% in Aussicht stellten? Eine Plattform für den Überflieger Möllemann zum Abheben in Richtung 18%. Noch am Tage vor der Wahl wurden 9,5% in der FAZ verbürgt. Die Bruchlandung erfolgte bekanntlich bei 7,4%. Das interessiert heute niemand mehr und die 12% von Frau Holle aus Allensbach sind längst Schnee von gestern.
Bundestagswahl 1990
Wer erinnert sich noch an das Prognose-Fiasko bei der BTW 1990, als Frau Noelle-Neumann die Grünen über Wochen in der FAZ mit 10% an die Decke nagelte. Noch am Wahlabend stieg sie bei SAT1 auf die Bühne und verkündete lauthals 8,5%. Minuten später - nach der ersten Hochrechnung vom ZDF und ARD - stand sie händeringend im Regen: Die Wähler hatten den Grünen mit 4,8% die Beine abgeschnitten.
Landtagswahl im Saarland 1985
Noch spektakulärer entfaltete sie ihre Kochkunst bei der Landtagswahl im Saarland 1985: Zeyer (CDU) contra Oskar Lafontaine (SPD). Sie prophezeite der CDU die absolute Mehrheit, den Grünen 6,5%, der FDP mit 1,9% das Aus. Die absolute Mehrheit kam zustande, allerdings für die SPD. Auch die FDP lachte sich mit 10% ins Fäustchen, während die Grünen sich mit 2,5% die Augen rieben. Als der SPIEGEL Frau Noelle-Neumann diese Meisterleistung unter die Nase rieb, wurde sie bitterböse. Sie klagte beim Landgericht Hamburg auf Schadensbegrenzung - dem SPIEGEL sollte ein Maulkorb verpasst werden.
Fazit
Wie man aus der nachfolgenden Zusammenstellung von Landtagswahlen seit 1998
sieht, hat Frau Noelle-Neumann gelehrige Schüler gefunden. Ihre demoskopischen
Brustkinder haben sich prächtig entwickelt. Bei fast allen Landtagswahlen
gibt es bei mindestens einer Partei einen markanten Unterschied zwischen Prognose
und Wahlergebnis.
Seit dem Superwahljahr 2004/5 endet fast jede Prognose mit einem Fiasko,
dem Wahlresulat. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg,
Thüringen und Sachsen traten
Abweichungen von gigantischem Ausmaß auf. Demoskopen, CDU und SPD leckten
sich gegenseitig die Wunden, während linke und rechte Rattenfänger
dem Zentrum den Garaus machten und ein Drittel der Wähler hinter sich
scharten.. Anstatt der vorausgesagten Parität in Thüringen
zwischen SPD und PDS, ging die PDS mit über 26% fast doppelt so stark
wie die SPD (14,5%) aus den Wahlen hervor. In Brandenburg wurde aus dem vermeintlichen
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU, SPD und PDS ein Waterloo für die CDU,
während die SPD das Schlachtfeld als "Sieger" verließ
und die PDS deutlich distanzierte. In Sachsen stürzte
die CDU ins Bodenlose und muss nun mit dem andern Verlierer - einer einstelligen
SPD (9,8%) - eine Koalition der Abgewählten bilden. Auch bei der Europawahl
2004 lagen die Prognosen völlig daneben - wie schon 1999
Den Absturz der Union bei der Bundestagswahl 1998
haben außer Allensbach alle Institute verschlafen. Dabei war es das
erste Mal, dass die Wähler einen Regierungswechsel herbeiführten
und nicht die FDP. Statt dem prognostizierten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen
Rotgrün und Schwarzgelb mit PDS als Zünglein an der Waage stürzte
die Union ins Bodenlose. Bei der Bundestagswahl
2002 hingegen verkündeten die Auguren lauthals und unisono,
dass die SPD die Union auf der Zielgeraden weit hinter sich gelassen habe.
Auch das Guidomobil sollte mit deutlichem Abstand vor den Grünen über
die Ziellinie rollen. Doch es kam anders. Stoiber feierte sich am Wahlabend
lange als knapper Sieger, während der Medienkanzler bei seinem ersten
Fernsehauftritt am Wahlabend die Souveränität eines begossenen Pudels
ausstrahlte. Entschieden wurde die Hängepartie in der langen Wahlnacht
von den Grünen. Joschka und seine Emanzen jauchzten, als das Guidomobil
auf der Zielgeraden vom Pannendienst des ADAC abgeschleppt wurde.
Fehlprognosen entfalten hierzulande keine nachhaltige Wirkung. Warum?
Nach einem Fiasko stehen bald wieder Wahlen in einem Bundesland an. Dann sind brandneue Zahlen gefragt und nicht Leichenschau in Zahlenfriedhöfen. Viele Medien - z.B. ARD, ZDF, n-tv, FAZ, Süddeutsche, Stern usw. - haben mit Meinungsforschungs-Instituten Verträge abgeschlossen und bekommen ihr Zahlenfutter auf dem Fließband. Das Geschäft ist seitens der Datenfabrikanten primär kommerziell motiviert und nicht politisch. Politikumfragen - insbesondere die Sonntagsfrage, Popularitätswerte von Politikern usw. - bringen den Instituten in gewissen Situationen (insbesondere vor Wahlen) eine große Publizität und dienen so als Gratis-Reklame für das kommerzielle Umfragegeschäft. Politische Akzente werden meist von anderen Akteuren gesetzt.
Symbiose zwischen Medien und Meinungsforschern
FAZ & Allensbach
Frau Noelle-Neumann bzw. ihr Allensbach-Institut sind bei der FAZ unter der Haube.
n-tv & Emnid
Emnid hat sich bei n-tv eingenistet. Und so darf Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner sich jede Woche mit seinen Zahlen weit aus dem n-tv-Schaufenster hängen. Emnid nimmt es mit der Genauigkeit tierisch ernst und hat als erstes Institut Wahlprognosen notariell beglaubigen lassen. Einen Tag vor der Bundestagswahl 1987 hat sich Emnid für die neben stehende Prognose eine Wahrscheinlichkeit von 90% bescheinigen lassen und wertete das Wahlresultat als eine glänzende Bestätigung der Prognose. Das ist - um mit Dieter Hildebrandt zu sprechen - mit Prozenten nicht gut möglich, wohl aber mit Promille. Was sich der wehrlose Notar dabei gedacht haben mag, hat später die ZEIT in einem ganzseitigen Artikel „Hellsehen wäre billiger“ auf den Punkt gebracht: „Genau so gut hätte sich das Institut (Emnid) beglaubigen lassen können, dass Bundeskanzler Kohl zwischen 100 und 200 Kilogramm wiegt“.
Stern, RTL & Forsa
Forsa stürmt unter SPD-Vollblut-Kapitän Manfred Güllner auf dem linken Flügel für den Stern und RTL. Böse Zungen behaupten, Manfred Güllner betätige sich als politisches Stethoskop für den Medienkanzler und agiere gar als Kanzlerflüsterer. Noch bösere Zungen behaupten, er habe nach der Lektüre von Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ einen beruflichen Knacks erlitten. Das könnte erklären, weshalb er anfangs 1994 unvermittelt - wie in einem Anfall von Ehrlichkeit - eine Breitseite gegen das zunftübliche Schminken von Umfrageergebnissen abfeuerte. Dabei rechnete er schonungslos mit der grand old dame der deutschen Demoskopie - Elisabeth Noelle-Neumann - ab, die sich als demoskopische Kosmetikerin einen Namen gemacht hat. Er pries sich als geläuterter demoskopischer Musterknabe, der die „politischen Gewichtung“ von Umfrageergebnissen in Bausch und Bogen verdammte. „Der geschönte Wähler“ war der Titel seines ganzseitigen Bekenntnisses in DIE WOCHE (März 1994). Doch wie es so ist beim Aufbruch nach neuen Ufern: „Der Ort ist gut, die Luft ist neu, der alte Lump ist auch dabei“. Die Rekonvaleszenz nach seinem Anfall von Ehrlichkeit war von kurzer Dauer. Er fand schnell zu den Praktiken seiner Zunftbrüder zurück und erfreut sich seither bester Gesundheit.
ZDF & Forschungsgruppe Wahlen
Die FGW (ForschungsGruppe Wahlen) posiert als eingetragener Verein mit Matthias Jung als Vorstand. Non-Profit hat sich der edle Verein auf die Fahnen geschrieben. De facto handelt es sich um eine Art Tochtergesellschaft des ZDF, denn das ZDF finanziert den Verein zu 100%, was dieser nicht ohne Stolz auf seiner Homepage vermerkt. Da stellt sich dem geneigten Leser die Frage: Ist das ein
Leistungsnachweis oder „Parteispende“
in eigener Sache? Der naive Leser darf wohl das erstere denken. Als Tribut für die 100%-ige Abhängigkeit liefert der Non-Profit-Verein dem ZDF und der Süddeutschen das Backpulver für das Politbarometer, welches in ZDF-heute-Sendungen durch ganz Deutschland hallt und auch im Internet unter der ZDF-Flagge breitgetreten wird. Da werden aus butterweichen Umfragedaten knallharte, aber genehme Prozentzahlen gebacken. Mit statistischen Methoden wäre das unmöglich, aber mit demoskopischen Rezepten ist dies ein Kinderspiel - in jeder Beziehung. Nota bene: Das Kinderspiel - in der demoskopischen Gaunersprache politische Gewichtung genannt - ist nicht auf dem Mist des Vereins gewachsen. Der Verein wurde vom ZDF verdonnert, diesen Mist für das ZDF-Politbarometer zu kultivieren: Geschönte Prozentzahlen für die CDU waren das erklärte Ziel der Aktion, welche die CDU im ZDF durchgeboxt hatte! Die Details dieses Husarenstückes hat der bekannte Soziologieprofessor Erwin K. Scheuch (mit CDU-Parteibuch) spitzbübisch und brühwarm im Rheinischen Merkur ausgepinkelt.
Steueroase in Manheim
Auf der Landkarte ist der Verein in einer Steueroase zu finden, nicht auf den Bahamas und weder in der Schweiz noch in Liechtenstein, sondern mitten in Mannheim. Beim Finanzamt hat sich der Verein als demoskopischer Ritterorden präsentiert und für die Verschaukelung von Wählern Wohltätigkeit reklamiert. Das wurde bedenkenlos gewährt, sei doch das ZDF-Politbarometer anerkanntermaßen reine Glaubensache.
Wohltätigkeit oder Nebentätlichkeiten?
So ganz Non-Profit ist der Verein allerdings nicht, beschert er doch den Ordensbrüdern lukrative „Nebentätigkeiten“. Auf der Visitenkarte der „Forschen Truppe Wahlen“ kann man nachlesen, was da alles abgeht. Unter der Ordens-Decke recken und strecken sich die FGW Online GmbH, die FGW Telefonfeld GmbH und die „Partnerfirmen“ ipos und SIGMA, die sich inkorpere und hemmungslos dem kommerziellen Umfragegeschäft verschrieben haben. Da wird unter der „Schirmherrschaft“ der Forschungsgruppe Wahlen ein bunter Kundenstamm vorgeführt - selbst der Bankenverband fehlt nicht als Aushängeschild. Personell erinnert die FGW e.V. eher an eine Dachholding. Matthias Jung hält das Firmengeflecht zusammen wie ein gewiefter Abt seine Pfründen: Bei der FGW e.V. agiert er als selbstloser Lautsprecher (Vorstandssprecher), bei der FGW Online GmbH und der FGW Telefonfeld GmbH zieht er im Hintergrund die Strippen als Geschäftsführer und die „Partnerfirma“ ipos besitzt er gar als Einzelunternehmen. Wohltätigkeit praktizieren die Ordensbrüder primär für sich selbst.
Und die Moral von der Geschichte?
Die Geschichte hat keine Moral. Eine Hand wäscht eben die andere: Die Non-Profit-Dachholding FGW e.V. liefert das Backpulver für das ZDF-Politbarometer und führt für das ZDF Hochrechnungen nach Wahlen durch. Mit dem Politbarometer im heute-Journal liefert das ZDF regelmäßig Gratis-Reklame für die FGW und an Wahlabenden organisiert das ZDF stundenlange, äußerst werbewirksame Bühneauftritte für Matthias Jung und seine Ordensbrüder. Das Ganze spielt sich nicht aber nicht etwa unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab, sondern wird offen wie folgt zur Schau gestellt:
Firmenportät
„Präzise Prognosen und schnelle Hochrechnungen zu Landtagswahlen, Bundestagswahlen und Europawahlen haben die Forschungsgruppe Wahlen bekannt gemacht. Sie ist das wissenschaftliche Rückgrat der ZDF-Wahlsendungen. .... Sowohl in den Wahlsendungen als auch in den monatlichen ZDF-Politbarometer-Sendungen werden die Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.“
Präzise Prognosen?
Wie präzise seine Prognosen sind, hat der Verein seit
dem Superwahljahr 2004/5 eindrücklich demonstriert und regelmässig
zur Sau gestellt. Bei der Europawahl und den
Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen jagte eine
Pleite die andere. Anstatt der vorausgesagten Parität zwischen PDS und
SPD in Thüringen ging die PDS mit über 26% fast doppelt stark wie
die SPD aus den Wahlen hervor. Dafür scheiterten Grüne und FDP an
der 5%-Grenze, obwohl die Ordensbrüder die Hand dafür ins Feuer
gelegt hatten. Bei der Europawahl wurden SPD und Union um über fünf
Prozentpunkte unter bzw. überschätzt und die PDS schaffte im Gegensatz
zu den Unkenrufen der "Wahlforscher" locker die 5%-Hürde. In
Brandenburg wurden der Absturz der CDU und der "Sieg" der SPD verschlafen,
und Grüne & FDP gingen trotz Quaken der Politbarometer-Frösche
leer aus. In Sachsen erreichte die CDU anstatt der gemunkelten absoluten Mehrheit
ganze 41%. Dafür punktete die PDS fast fünf Prozentpunkte mehr als
von der FGW zugebilligt und die FDP übersprang die 5%-Hürde mit
Leichtigkeit, usw.
Auf die kassenwirksamen Leistungen der ZDF-Gratisreklame hat das keinen Einfluss.
Die werden auch dann ins Trockene gebracht, wenn die Prognosen baden gehen.
ARD & Infratest-dimap
Die Meinungsforschungsinstitute Infratest und dimap haben eigens einen Partyservice gegründet - Infratest-dimap - der auf Zahlensalat spezialisiert ist und sich in diesem Marktsegment eine beachtliche Position aufgebaut hat. So wird in der ARD der Bericht aus Berlin regelmäßig mit Umfrageergebnissen von Infratest-dimap gewürzt, ebenso das Morgen- und Mittagsmagazin, auch wenn das gelegentlich zu Durchfall führt. Infratest-dimap versorgt die gesamte ARD und 7 deutsche Tageszeitungen kontinuierlich mit politischen „Neuigkeiten“, die Umfragen abgerungen werden.
Schaut man diese Geschichten näher an, so stellt man nicht selten fest, dass die vorgeführten Zahlen einen Erkenntniswert haben, der mit dem Nährwert von Cola-light vergleichbar ist. Aber dank ihrer Süffigkeit ernähren beide - Umfrageergebnisse und Cola-light - ihren Produzenten sehr gut.
Sabine Christiansen & Infratest-dimap
Selbst Sabine Christiansen kann der Versuchung nicht widerstehen und bestellt für ihre Show vor Wahlen regelmäßig Zahlensalat beim Party-Service von Infratest und dimap. Welch wunderbare Vorspeise für eine Smalltalk-Runde, denn vor laufenden Kameras ist hektische Darmaktivität nicht zu befürchten. Dazu kann es erst am Wahlabend kommen, wenn ranzig gewordener Zahlensalat so manchen deutschen Blinddarm zum Überlaufen bringt. Dann ist Sabine Christiansen allerdings auf Tauchstation. Und bis zur nächsten Wahl haben umweltbewusste Darmbakterien den Müll von Infratest-dimap längst entsorgt und die restaurierten Darmbesitzer sind wieder schluckbereit für Zahlensalat - wie Junkies für den nächsten Schuss. Entzug ist für Zahlensüchtige ebenso wenig ein Thema wie für Junkies. Auch für Sabine Christiansen steht das nicht zur Debatte. Nicht weil sie selbst süchtig wäre, aber mit etwas Stoff lässt sich die Smalltalk-Runde prima stimulieren.
Gegen den Strom schwimmen und echte Missionsarbeit leisten zahlt sich nicht aus. Missionare sind nicht bekannt für hohe Einschaltquoten und eine dicke Quote ist ihr allemal wichtiger als gesunde deutsche Blinddärme.
Zahlenprostitution
Im alten Rom wurde das Volk mit Brot und Spielen bei der Stange gehalten. Heutzutage wird das mit Lotto- und Prozentzahlen besorgt. So wird in Medien vieles, was mit Zahlen nicht zu fassen ist, mit Make-up und Prozentzahlen zurecht geschminkt. Die Moral trieft förmlich aus der Zahlen-Schminke, und kein verantwortungsbewusster Zahlengläubiger kann sich dem entziehen. Das hat die Zahlenprostitution zum qualifizierenden Handwerkszeug in der Medienbranche gemacht, denn die Kundschaft fragt nie danach, wie die Zahlen zustande gekommen sind. Ohne Zahlenprostitution wäre vieles nicht machbar und würde von selbst aus den Schlagzeilen verschwinden. Bei dieser Sachlage ist eine kritische Auseinandersetzung mit Umfragen und Wahlprognosen in den Medien geradezu ausgeschlossen, denn
von Zuhältern ist keine Kritik an
der Prostitution zu erwarten,
wohl aber ein Plädoyer für Gewerbefreiheit.
So ist es nur logisch, dass in den Medien die Qualität der deutschen Demoskopie besungen wird, an Bänkelsängern fehlt es bekanntlich nie. Eine lockere Seilschaft von Demoskopen, Schreiberlingen und Plaudertaschen sorgt dafür, dass Fehlprognosen von den Medien wie Missgeburten behandelt werden. Sie werden schnell und heimlich entsorgt, als hätten sie nie das Licht der Welt erblickt. Grabreden werden nicht gehalten und Grabsteine nicht gesetzt. Das soll hier nachgeholt werden. Alle Fehlleistungen der deutschen Prognoseindustrie sollen bei wahlprognosen-info.de eine würdige Ruhestätte finden: Ein Grabmal für die unbekannte Fehlprognose.
Fehler bei Fehlprognosen sind gleichgerichtet! Warum?
Bemerkenswert ist, dass bei Fehlprognosen die Fehler der Institute meist gleichgerichtet sind, d.h. alle Institute unter- oder überschätzen die gleiche Partei. Bei einer Zufallsauswahl des repräsentativen Querschnittes wäre das extrem unwahrscheinlich. Diese „Harmonie“ rührt davon her, dass die Institute ihre Prognosen nach dem gleichen Strickmuster erstellen:
Zuerst wandern die aktuellen Umfrageresultate in den Müll.
Der Grund für die Entsorgung ist einfach: Wahlforscher sind lernfähig. Sie haben bemerkt, dass aktuelle Umfrageergebnisse für Prognosen selten was taugen. Wolfgang Gibowski, der lange Regie in der Zahlenschmiede für das ZDF-Politbarometer führte, jammerte einmal im Handelsblatt: „Vergleicht man Umfrageergebnisse mit tatsächlichen Wahlergebnissen der Parteien bei Bundestagswahlen, dann stellt man verblüffende Unterschiede fest [...] Es ist unstrittig, daß Ergebnisse der Sonntagsfrage als tatsächliches Wahlergebnis oft sehr unrealistisch wären.“ Auch die Wankelmütigkeit des repräsentativen Querschnittes, die z.T. durch die Zufallsauswahl bedingt ist, ging ihm sichtlich an die Nieren: „Überhaupt sind Bundestagswahlergebnisse der letzten 20 Jahre recht stabil, stabiler jedenfalls als Umfrageergebnisse der Sonntagsfrage.“ In der Tat haben sich die Parteistärken von einer Bundestagswahl zur nächsten wenig verändert. Die durch die Zufallsauswahl verursachten Fehler sind von der gleichen Größenordnung. Politische Umstürze waren (ausgenommen 1998) das Resultat von neuen Allianzen - mit der FDP als Pendlerpartei - und nicht von Änderungen der Parteistärken. Die Zufallsauswahl der Befragten hat zwangsläufig Fehler bei Umfrageergebnissen zur Folge und bewirkt Pseudotrends. Das Ausmaß wollen die Meinungsforscher nicht wahrhaben. Nicht selten wird von einer Umfrage zur nächsten eine Veränderung von ±4% für eine große Partei oder ±2% für eine kleine vorgetäuscht. Um diese Pseudotrends unter den Teppich zu kehren, wird die Demoskopie auf den Kopf gestellt:
Als Ersatz für unbrauchbare Umfrageresultate werden alte Wahlergebnisse mobilisiert.
Die Resultate der letzten Wahlen werden Pi mal Daumen an die aktuelle Situation angepaßt und dann als Ergebnis der Sonntagsfrage verkauft. Diese Pioniertat geht auf Frau Noelle-Neumann zurück. Sie hat für diese Tätlichkeit eigens ein neues Kosewort geprägt: „Kunst der Gewichtung“. Sinngemäß sagte sie einmal, daß Umfrageergebnisse nicht so wichtig seien, entscheidend sei, was sie damit mache (wie sie „gewichte“) und das könne bis zu ±10% oder ± 11% betragen. Die Durchführung der Sonntagsfrage ist also primär eine demoskopische Alibiübung, natürlich wegen des kommerziellen Umfragegeschäftes. Das Pferd wird buchstäblich am Schwanz aufgezogen: Die ganze Übung besteht darin - ausgehend von der letzten Wahl -, die alten Zahlen behutsam abzuschreiben und sie mit der Zeit ein klein wenig zu verändern. Die plakatierten Veränderungen der Parteistärken von Umfrage zu Umfrage sind vollkommen fiktiv - sie betragen meist ±0% oder ± 1%, ausnahmsweise ±2% -, denn sie werden von den Meinungsforschern in eigener Regie festgelegt (siehe „7. Wie werden Wahlprognosen gemacht“ und hier). Auf den Punkt gebracht:
Anstatt den Ausgang der nächsten Wahlen
mit der aktuellen
Umfrage vorauszusagen,
wird der Ausgang der aktuellen Umfrage
mit alten Wahlergebnissen vorausgesagt!
Perverser geht es nicht. Niemand weiß, wie sich die Wählergunst von Umfrage zu Umfrage tatsächlich verändert, denn die realen (kleinen) Änderungen sind mit Umfragen grundsätzlich nicht meßbar, weil sie von den durch die Zufallsauswahl verursachten Fehler erschlagen werden. Durch die stetige Modifikationen in kleinen Portionen wird eine
politische Kontinuität vorgegaukelt
die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Das zugrundeliegende Motto ist: Die politischen Kräfteverhältnisse waren in der Vergangenheit recht stabil, warum sollte es jetzt anders sein? Die eigentliche Geschäftsgrundlage ist also die bisherige Stabilität - und nicht die Antworten auf die Sonntagsfrage. So paradox es ist: Die Meinungsforscher haben die relative politische Stabilität der BRD zum Gütesiegel und Aushängeschild für das kommerzielle Umfragegeschäft umfunktioniert.
Wann gehen Prognosen baden?
Gerät die politische Landschaft unvermittelt in Bewegung, dann fallen die Wahl-„Forscher“ mit ihrer Abschreibe-Methode auf die Nase. Sie verschlafen die Änderung, weil sie sich daran orientieren, wie die Wähler bisher gewählt haben, und nicht, wie sie jetzt zu wählen gedenken. Seit dem Superwahljahr 2004/5 nehmen die Wahl-„Forscher“ ein Vollbad nach dem andern.